Nachskaten Von Klaudia Brunst

Auch letzten Sonntag litt unsere Doppelkopfrunde wieder ein wenig unter der EM. „Wir alle müssen Opfer bringen, wenn der Fußballstandort Deutschland in Europa wieder an Gewicht gewinnen soll“, hatte unsere Nachbarin erklärt und um 17 Uhr demonstrativ den Fernseher eingeschaltet.

Um meine Freundin nicht völlig zu vergraulen, einigten wir uns darauf, wenigstens den Ton wegzudrehen und unsere Tischordnung derart zu verändern, daß mein schwuler Freund und unsere Nachbarin einen freien Blick auf den Bildschirm hatten. Meine Freundin drehte dem Geschehen selbstverständlich den Rücken zu, so daß mir sozusagen nur die Seitenlinie übrig blieb.

Natürlich hatte meine Freundin, die uns inzwischen ob unserer Sportbegeisterung für „komplett irre“ erklärt hatte, gleich in der ersten Runde das Pech, mit meinem schwulen Freund zusammenzuspielen. Der war erwartungsgemäß etwas abgelenkt, und deshalb der festen Überzeugung, contra zu sein, und hatte dies nicht nur vorab angesagt, sondern auch noch sein Karlchen in den letzten Stich meiner Nachbarin gebuttert. „Kannst du mir das irgendwie plausibel erklären?“ zischte meine Freundin ihrem Spielpartner zu, während sie die nun fälligen Bockrunden notierte. Er konnte natürlich nicht.

Auch in den folgenden Spielen hatte mein schwuler Freund keine glückliche Hand. Er übernahm meine Herzzehn, obwohl wir zusammen eine Hochzeit spielten, stach die zweite Herzrunde unterhalb des Fuchses ab, (und wurde prompt von meiner Freundin übertrumpft) oder vergaß, seinen Charly beizeiten loszuwerden, obwohl klar war, daß noch mindestens eine Pikdame im Spiel war.

Auch unsere Nachbarin spielte eher nachlässig, und selbst meine Freundin wurde zunehmend unkonzentriert, weil ungehalten. Mit wachsender Penetranz verlegte sie sich aufs „Nachskaten“: „Nur um das noch einmal festzuhalten“, setzte sie nach jedem Spiel an und breitete alle Stiche wieder auf dem Tisch aus. „Also: Ich habe Re vorab gesagt und dann Kreuz angespielt. Wenn du mich dann abstichst, muß ich natürlich davon ausgehen, daß du contra bist, besonders, wenn Klaudia vorher das Herz mit ihrer Pikdame mitgenommen hat, was ja ein klassisches Signal ist, daß sie keine Kreuzdame hat ...“ – „Das kann aber auch ein Trick sein!“ rief unsere Nachbarin dazwischen, während sie auf den Fernseher stierte, um den Halbzeitstand mitzuverfolgen.

„So geht das irgendwie nicht!“ versuchte ich mich an einem Schlichtungsversuch. „Wollen wir nicht diesmal einfach Canasta spielen? Da muß man nicht so aufpassen.“ Erstaunlich freundlich willigten alle ein. Und wirklich! Zwei Spiele lang ging alles gut – bis Klinsmann sein erstes Tor schoß und mein schwuler Freund statt einer Stopdrei aus Versehen ein As auf den ansehnlich hohen Haufen warf – obwohl meine Nachbarin und ich schon sechs Asse ausgelegt hatten. Wortlos schob meine Freundin die Karten zusammen. Dann holte sie einen Edding aus dem Schreibtisch und schrieb quer über den Fernseher „Fußball ist Folter“. – „Entschuldigung!“ warf unsere Nachbarin daraufhin die Arme in die Luft. „Kannst du mal eben zur Seite gehen? Du stehst mir nämlich im Bild.“ Man kann wirklich nur hoffen, daß wir nicht ins Endspiel kommen.