Tödliche Heimkehr in die chinesische Volksrepublik

1950 rollten chinesische Panzer nach Tibet – Maos Volksarmee erzwang die „Rückkehr“ des zwei Millionen Quadratkilometer großen Hochlandes in die Volksrepublik. Dabei war das „Dach der Erde“ nach einer kurzen Phase der Unabhängigkeit im siebten Jahrhundert von den verschiedensten Herrschern okkupiert worden: Mongolen, Dsungaren, Briten und eben Chinesen. In den Wirren der Volksrevolution war es den Tibetern gelungen, die chinesischen Truppen aus dem Land zu drängen.

Bis heute töteten die chinesischen Besatzer etwa 1,2 Millionen Tibeter. 1959 floh der 14. Dalai Lama ins indische Exil. Zahlreiche der etwa sechs Millionen Tibeter folgten ihm. Über 100.000 Tibeter leben nach Schätzungen im Exil im Ausland.

Die chinesische Führung bezeichnet Tibet als „untrennbaren Bestandteil“ Chinas. Durch die Ansiedlung von Han-Chinesen – der zahlenmäßig größten Bevölkerungsgruppe Chinas – versuchen die Herrscher, in Tibet vollendete Tatsachen zu schaffen: Mittlerweile sind die Tibeter eine Minderheit im eigenen Land. Trotz offiziellen Verbots läßt die chinesische Führung die tibetischen Wälder roden. Das Holz wird in das chinesische „Kernland“ geschafft.

Anfang der 80er Jahre gewährten die Chinesen formal Religionsfreiheit in der „Autonomen Provinz“. Seit jedoch 1989 Tibeter in Lhasa für ihre Unabhängigkeit auf die Straße gingen, ist die Zeit des „Tibeter Frühlings“ vorbei. Menschenrechtsorganisationen beobachten Unterdrückungsmaßnahmen wie zu Zeiten der Kulturrevolution.

Mittlerweile haben es die chinesischen Besatzer auch auf die religiöse Führung der Tibeter abgesehen: Vor einem Jahr verschwanden der sechsjährige Gendun Chekyi Nyiama und seine Eltern spurlos. Kurz zuvor hatte der Dalai Lama den Jungen zum elften Pantschen Lama erklärt, Nummer zwei in der tibetischen Hierarchie. Die chinesische Führung dementierte, mit dem Verschwinden irgend etwas zu tun zu haben, präsentierte jedoch einen „eigenen“ Pantschen Lama – den Sohn eines KP-Funktionärs.

Im Mai dieses Jahres räumte die Staatsführung ein, daß sich Gendun Chekyi Nyiama und seine Eltern in ihrer Obhut befinden. Der Junge solle vor tibetischen Nationalisten geschützt werden. Beobachter vermuten, daß die Chinesen mit der Kindesentführung langfristige Ziele verfolgen: Der Pantschen Lama hat traditionell maßgeblichen Einfluß bei der Auswahl des nächsten Dalai Lama. Thomas Dreger