Spiel nicht mit den Schmuddelchristen

Katholische Oppositionelle wollen mit dem „Bruder Papst“ lieber diskutieren, als ihn zu bejubeln – und bezahlen dafür mit Ausgrenzung. Paderborn hat beschlossen, sich auf den Papst zu freuen  ■ Von Bernhard Pötter

Der Mönch ballt die Fäuste: „Wenn der Papst die Bibel mißachtet, schulden wir ihm keinen Gehorsam.“ Der Vertreter der römischen Amtskirche reagiert mit versteinertem Gesicht: „Wer sich den päpstlichen Anordnungen widersetzt, ist ein Ketzer.“ Da breitet der Mönch seine Arme aus und antwortet mit dem berühmt gewordenen Satz: „Was mein Gewissen mir sagt, kann ich nicht widerrufen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Der Film „Martin Luther“ ist zu Ende. Leicht betreten verlassen eine Handvoll Besucher den Gemeindesaal der katholischen St.- Josef-Kirche in Paderborn. Draußen erwarten sie die Abendsonne und ein ökumenischer Gottesdienst, mit dem sie sich auf eine Woche voller Gegenaktionen zum Besuch des Papstes in der westfälischen Katholikenhochburg vorbereiten. Widerspruch führt zu Ausgrenzung: Für viele aus der Oppositionsgruppe „Wir sind Kirche“ ist dies kein historischer Stoff, sondern tägliche Erfahrung.

Für Ulrich Radke zum Beispiel. Der Kaplan aus dem benachbarten Bad Lippspringe will Reformen, keine Reformation. Aber den freundlichen, rundlichen Mann packt die Wut, wenn er von den Zuständen in der Kirche redet. Vor der Gemeinde in der lichtdurchfluteten Kirche redet Radke an diesem Sonntag wie Luther: „Wenn die Kirche den Boden verläßt, auf dem Jesus steht, wenn wir Menschen nicht ernst nehmen, sondern ausschließen, dann verraten wir die Kirche Jesu.“

Diese Kirche feiert sich selbst, wenn am Sonnabend Papst Johannes Paul II., laut katholischer Lehre der Stellvertreter Christi auf Erden, nach Paderborn kommt. Der Besuch wird für das „schwarze Loch Deutschlands“, wo in blitzblanken Vorgärten Kreuze stehen, ein Großereignis: 80.000 Sitzplätze bei einem Gottesdienst auf dem Truppenübungsplatz Senne sind ausgebucht, die Innenstadt wird gesperrt. Die Stadt hat beschlossen, sich zu freuen: Immerhin liegt der letzte Papstbesuch fast 1.200 Jahre zurück, und Paderborn ist heute eines der wichtigsten Bistümer in Deutschland: Von hier fließen viel Geld und Personal in den Vatikan. Die Kirchenleitung läßt zehntausend Fähnchen verteilen und fordert die Bevölkerung auf, die Häuser zu schmücken. Von Plakaten verspricht ein zwei mal drei Meter großes Papstantlitz, ganz Paderborn sei „einig in der Hoffnung“.

Ganz Paderborn? Zumindest die kircheninterne Opposition, die Basisgemeinde um die Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens „Wir sind Kirche“ will mit dem „Bruder Papst“ nicht feiern, sondern diskutieren: „Wir brauchen keine Kirchenfürsten.“ Die etwa zwanzig Mitglieder der Gruppe, gesetzte Mittvierziger mit bürgerlichen Karrieren, legen sich seit einem halben Jahr mit der klerikalen Obrigkeit an und bekommen die Macht der Beharrung in Kirche und Gesellschaft zu spüren.

„Sind Sie überhaupt katholisch?“ blafft ein Mann mit blauem Hemd und rotem Kopf Christa Hillebrandt an. Die Organisatorin des „Kirchenvolksbegehrens“ steht in der Fußgängerzone, um für die Veranstaltungen des „fröhlich- kritischen Parallelprogramms“ zu werben. Bei vielem, was sie zu hören bekommt, muß sie sich „mächtig zusammennehmen“, etwa, wenn es heißt: „Sie als Frau sind doch einfach anders strukturiert und deshalb ungeeignet als Priester.“ Andere steuern den Stand gezielt an, um Informationen zu bekommen. Den meisten Passanten aber sind der Papst und seine Gegner gleichgültig.

An den Kirchen hängen schlaff die weißgelben katholischen Banner, in den Auslagen der Geschäfte konkurrieren Bildbände mit dem Konterfei Seiner Heiligkeit mit den Stars der Fußball-EM. Unter der glühenden Mittagssonne am Domplatz wird der Katholizismus verramscht, alles zum halben Preis: eine „Laiendogmatik“, ein Band über die „sittliche Praxis“, und „Menschenrechsbewußtsein und Kirche“. Nebenan ein ganzes Schaufenster Drewermann – Bücher des vom Bischof suspendierten Paderborner Priesters und Kirchenkritikers. Das Schaufenster geht auf eine kleine Seitengasse.

Versteckt werden auch die Konflikte zwischen der kirchlichen Opposition und der Hierarchie in einer Stadt, in der von 130.000 Einwohnern 105.000 katholisch sind. Für das Abschlußfest der Papstkritiker fand sich kein Raum, berichtet Christa Hillebrandt: Der Schützenverein erklärte, die Schützenhalle könnten die Kritiker jederzeit mieten – nur nicht zum Papstbesuch. Nun feiert die Opposition auf einem Sportplatz vor den Toren der Stadt. Die Leitung eines katholischen Obdachlosenheims untersagte den Bewohnern, bei den Kritikern mitzufeiern. Im Westfälischen Volksblatt finden die Parallelveranstaltungen kaum statt. Und in den kiloschweren Presseinformationen der Kirche zum Papstbesuch findet sich zwar eine umfassende Darstellung noch der kleinsten katholischen Organisationen, aber kein Wort über das Kirchenvolksbegehren.

Für den Paderborner Theologieprofessor Peter Eicher besucht der Papst Potemkinsche Dörfer: „Was er mitbringt und vorfindet, ist der Schein eines machtvollen Katholizismus. Der Besuch ist höchst peinlich, denn er hat keinen Inhalt und keine Aussage. Er gaukelt eine Massenbewegung vor, die es auch in Paderborn nicht mehr gibt.“ Das traditionell katholische Milieu sei aufgeweicht, aber beharrlich: „Es ist damit zufrieden, einfach dazusein, hat aber keine Ausstrahlung in das kulturelle Leben mehr.“ Die Benennung als „Pastoralbesuch“ ist für den Theologen „nichts als Hohn und Spott“. Die Papstkirche leiste gerade in der Seelsorge, die die Menschen dringend brauchten, nichts: „Das ist eine Parodie des Katholizismus.“

Warum kommt der Papst eigentlich nach Paderborn? Weil der Bischof ihn eingeladen hat, lautet die Antwort aus dem Erzbischöflichen Generalvikariat. Außerdem besucht er ein katholisches Institut für Ökumenik, um im Lutherjahr 450 Jahre nach dem Tod des Reformators „ein Zeichen für die Ökumene zu setzen“. Das Zeichen, kritisiert Eicher, bestehe aber nicht in einem wirklichen Gespräch, sondern nur in einer Audienz für Vertreter protestantischer Kirchen.

„Ökumene, das heißt doch in Paderborn: Machen, was die Katholiken sagen“, meint Brigitte Gläser, Pfarrerin an der evangelischen Studierendengemeinde. Nur an der Universität gebe es Freiräume, wo man von der erdrückenden katholischen Prägung der Stadt wenig spüre. Immerhin, meint dazu einer ihrer Kollegen, lebt man als „Protestant in Paderborn noch besser als ein Katholik, der nicht in die Kirche geht“.

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, hat der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt in den 70er Jahren gesungen. Der Erzbischof von Paderborn, Johannes Joachim Degenhardt, hat sich diesen Ratschlag seines ansonsten ungeliebten Cousins zu Herzen genommen: Er gehört zu den wenigen deutschen Bischöfen, die offen den Dialog mit den Initiatoren des „Kirchenvolksbegehrens“ verweigern. Statt dessen droht der Mann aus Paderborn: Wer Demokratisierung der Kirche, Gleichberechtigung der Frau und eine positive Bewertung der Sexualität fordere, stelle „nicht die richtigen Fragen“ und sei „auf dem Weg, sich von der Kirche zu trennen“.

Degenhardts starre Haltung, so heißt es in Paderborn, entspringe der Angst, wie im Fall Drewermann den Kritikern theologisch nicht viel entgegensetzen zu können. Möglicherweise steht der Bischof aber auch unter Druck: Für den Journalisten und Kirchenkenner Peter Hertel ist klar, daß Degenhardt und sein Generalvikar seit Jahren beste Kontakte zum „Opus Dei“ pflegen. Das ist jene reaktionäre katholische Geheimloge, die sich mit dem Segen des Papstes auf den Marsch ins Mittelalter begeben hat.

Im Hohen Dom von Paderborn schrauben Arbeiter hohe Aluminiumgestänge zusammen und hängen Scheinwerfer auf, um den Fernsehkameras genug Licht zu verschaffen. Im Dommuseum ist ein bleicher Karol Wojtyla auf Kerzen gepreßt. Volker Tenbohlen, Pressesprecher des Bistums, sitzt vor seinen klingelnden Telefonen und ist bei der meistgefragten Frage hilflos: Was wird der Papst zu Mittag essen?

Heiß brennt die Sonne auf den Scheitel der Madonnenstatue am Marienplatz. Gitarrenmusik, Schellenklang und „Halleluja“- Gesänge durchwehen die Fußgängerzone. Zwanzig Meter neben dem Stand der kritischen Katholiken haben sich Mitglieder der katholisch-fundamentalistischen „Neokatechumenalen Bewegung“ aufgebaut und ein vergoldetes Kruzifix aufgepflanzt. Unter einem Plakat mit Grüßen an den Papst missionieren sie „mit Ermutigung des Bischofs“, wie sie sagen, die Passanten: „Jesus ist auch für dich gestorben“, sagt Annette, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen will. Den Papstbesuch findet sie toll und erhofft sich von ihm „eine Stärkung des Glaubens“. Die Verweigerung von Frauenrechten in der Kirche stört sie nicht: „Ich will ja nicht Priesterin werden.“ Und Mitbestimmung im Gottesvolk? „Demokratie ist die beste Staatsform, aber das Problem ist, daß die Mehrheit entscheidet. Und die kann sich irren.“

Im Film hatte ein Beichtvater den Mönch Martin Luther ins Gebet genommen: „Mein Sohn, wer die Kirche reformieren will, der muß in der Kirche bleiben.“ Wie für den Reformator könnte das nun auch für die Paderborner Kirchenkritiker schwierig werden. Nicht alle sind so ungebunden wie Christa Hillebrandt, die nicht bei der Kirche arbeitet, sich „mitten in dieser Kirche“ fühlt und den Oberen verspricht, daß „ihr uns Frauen nie wieder loswerdet“.

Für Klaus Becker, einen der Organisatoren und Religionspädagogen, könnte der Protest indes üble Folgen haben: Nach dem Ende des Studiums durfte er im Februar sein Anerkennungsjahr nicht antreten: „Die erste Begründung war, daß ich beim Kirchenvolksbegehren mitgemacht habe.“ Nun hofft Becker auf das nächste Jahr und das schlechte Gedächntis der Verwaltung.

Kaplan Ulrich Radke aus Bad Lippspringe macht sich nichts mehr vor: „Wenn der Besuch vorbei ist, werden sie die Schraube wieder anziehen.“ Der Priester, der bereits wegen seiner Aufmüpfigkeit das Bistum Berlin verlassen mußte und auch in Paderborn schon mit Suspendierung bedroht wurde, falls er sich weiterhin für die kritischen Katholiken engagiere, meint, er habe „lange Angst gehabt, diese aber jetzt verloren“. Wieviel Zeit im Amt ihm noch bleibt, weiß Radke nicht: „Eigentlich kann mir nicht viel passieren“, meint er lapidar, „ich habe einen Taxischein.“