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Jelzin räumt im Kreml auf

Der russische Präsident setzt drei seiner engsten Mitarbeiter vor die Tür. Damit will er seine Chancen auf eine Wiederwahl erhöhen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Das Sterben im Kreml geht weiter. Nach Verteidigungsminister Pawel Gratschow feuerte der russische Präsident Boris Jelzin gestern seinen Sicherheitschef und Leibwächter, Alexander Korschakow, sowie den Chef des Inlandsgeheimdienstes (FSB), Michail Barsukow. Auch der stellvertretende Ministerpräsident Oleg Soskowez wurde geschaßt.

Angefangen hatte alles am Mittwoch nachmittag. Die Wahlkampfstrategen von Präsident Jelzin, Arkadi Jewstafejew und Sergej Lissowski, wollten eilig das Weiße Haus verlassen. Mit sich führten sie eine halbe Million Dollar, über deren Herkunft sie dem Wachpersonal keine genaueren Auskünfte geben konnten. Der föderale Sicherheitsdienst wurde eingeschaltet und auch Korschakow mischte sofort mit. Jewstafejew und Lissowski wurden verhaftet und elf Stunden lang verhört.

So wird die Geschichte kolportiert, von jener Seite, die nun den kürzeren gezogen hat. Die andere Seite behauptet, die Falken wollten den Präsidenten im letzten Moment dazu zwingen, die Wahlen zu verschieben. Gerüchte über riesige Summen, die für Wahlkampfzwecke verwendet werden, hätten das Image des Präsidenten stark angeschlagen. Und das gerade in jenem Moment, als dieser Alexander Lebed zum Vorsitzenden des Sicherheitsrates ernannt hatte, um damit dem Wähler zu demonstrieren, er mache ernst mit dem Versprechen, Ordnung zu schaffen. Die Kommunisten hätten so wieder Oberwasser bekommen.

Ungerührt gab Jelzin die Entlassung seiner engsten Mitstreiter bekannt. Er begründete seine Entscheidung nicht mit dem Versuch seiner Vertrauten, einen weichen Putsch zu inszenieren. Statt dessen sei es an der Zeit, „frische Leute“ heranzuholen. „Man macht mir Vorhaltungen wegen Soskowez und Korschakow. Soll ich etwa für sie arbeiten?“ fragte Jelzin. „Sie haben zuviel genommen und zuwenig zurückgegeben.“ Damit lancierte er noch einen Korruptionsvorwurf. Dem Wähler beweist Jelzin, daß er sich sogar von Freunden trennt, wenn sie keine saubere Weste haben. Einer Wiederwahl scheint nichts mehr im Wege zu stehen.

Zwei Lager, Demokraten und Hardliner, kämpfen in Jelzins Umgebung um die Hegemonie. Demokratische Kräfte, die der ehemalige Privatisierungsminister Anatoli Tschubais sowie Jelzins früherer Chef der Administration, Sergej Filatow, vertreten. Beide entließ der Präsident Anfang des Jahres auf Geheiß der Falken. Doch die Apparatschiks waren nicht in der Lage, den Wahlkampf zu organisieren. Der Präsident bat die Verjagten um Hilfe. Sie lieferten dem Präsidenten eine grandiose Strategie. Nun geben sie wieder den Ton an, und die anderen müssen dran glauben. Der Präsident schlägt sich auf die Seite jener, die ihm einen Sieg garantieren. Im Notfall wäre er wohl auch mit den anderen marschiert.

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