Stolz auf Kaiser und Firma?

Handelshäuser gelten in Japan als Crème de la Crème der Wirtschaft. Doch der Skandal um die Kupferfirma Sumitomo bringt sie in Verruf  ■ Aus Tokio Georg Blume

Im ersten Quartal erreichte Japans Wirtschaftswachstum eine Jahresquote von 12,7 Prozent. Doch selbst eine so gute Nachricht konnte in dieser Woche nicht von dem wohl verblüffendsten Wirtschaftsskandal der jüngsten japanischen Geschichte ablenken. Nicht etwa, daß die Medien des Landes groß über die Sumitomo- Affäre berichten. Alles andere scheint plötzlich wichtiger, wie zu den Zeiten als der alte Kaiser erkrankte. Schon damals, 1988, dauerte es Monate, bis die Öffentlichkeit begriff: Auch der Tenno kann sterben. Vielleicht durchläuft Japan in diesen Tagen einen ähnlichen Prozeß, an dessen Ende die Erkenntnis steht: Auch Handelshäuser können fehlen.

Für die Welt außerhalb Japans gibt es daran ohnehin kaum mehr Zweifel, seit das angesehene Handelshaus Sumitomo Verluste aus illegalen Kupfergeschäften in der Höhe von 2,74 Milliarden Mark meldete. Inzwischen kursieren Gerüchte, daß die Verluste sogar bis zu vier Milliarden Mark betragen könnten. Viel wichtiger aber ist der Umstand, daß kaum ein seriöser Kupferhändler mehr der Erklärung Sumitomos Glauben schenkt, ein einzelner Angestellter, Yasuo Hamanaka, habe diese enormen Verluste quasi im Alleingang erwirtschaftet. Schon liegt in New York eine Erklärung des Wertpapierhauses Merill Lynch vor, die ranghohe Sumitomo-Manager bezichtet, die angeblich geheimen Investment- konten Hamanakas bei Merill Lynch bis zum Mai dieses Jahres im Namen der Firma geprüft und gebilligt zu haben.

Wäre der Sünder nur eine Bank, wie anders sähe die öffentliche Reaktion aus. Immerhin müssen die einst ebenso feinfühlig wie das Kaiserhaus behandelten Banken heute für nahezu alle wirtschaftlichen Übel den Kopf hinhalten. Die öffentliche Hinrichtung der reichen Geldhäuser ist nur zu verständlich: Sie waren es, die mit der Mafia Anfang der 90er Jahre die Immobilienspekulation in die Höhe trieben, um sich anschließend mit faulen Krediten über geschätzte 1.000 Milliarden Mark reumütig zu ihren Fehlern zu bekennen. Doch was ist, wenn nicht nur die Banken schuldig sind?

Der Sumitomo-Skandal liefert nämlich einen ganz neuen Einblick in das, was man gewöhnlich als den harten und gesunden Kern der japanischen Wirtschaftsmacht betrachtet. Mit Kupfer handelt Sumitomo schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts und war schon damals der größte Kupferhändler weltweit. „Es kann keine Rede davon sein“, meint Kathy Matsui, die Chefstrategin der US-Investment- Bank Goldman und Saachs in Tokio, „daß Sumitomo die heutige Situation auf dem Kupfermarkt nicht verstanden hatte. Wahrscheinlicher ist, daß die Firma zu hoch spielte und am Ende zu viel verlor.“

Unter der Annahme, daß die Sumitomo-Bosse wußten, was geschah, bekommt die Affäre erst ihre symbolische Bedeutung: Dann nämlich hätten sich die unsoliden Geschäftspraktiken, die sich im Finanzgewerbe bereits als allgegenwärtig herausgestellt haben, auch in den angesehensten Handelsfirmen des Landes eingeschlichen, in die Crème de la Crème der fernöstlichen Industrie: Mit Namen wie Sumitomo, Mitsubishi und Mitsui wurde Japan in diesem Jahrhundert groß, erst später kamen die Toyotas und Sonys dazu.

Immer noch gelten deshalb die Handelshäuser als die besten Adressen der japanischen Wirtschaft: Folglich führen die Daimler-Chefs aus Stuttgart ihre regelmäßigen Mitsubishi-Gespräche in erster Linie immer mit dem Chef des dortigen Handelshauses. Noch im Geschäftsjahr 1994 setzten Japans führende Handelshäuser rund 1,35 Billionen Mark um, das entsprach einem Viertel des japanischen Bruttosozialprodukts.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich die verzweifelte Lage der Institutionen mit dem hohen Prestige: Schon seit fünf Jahren fallen die Umsätze aller großen Handelshäuser. Im traditionellen Import/Export-Geschäft werden sie immer seltener gefragt, den Mittelsmann zu spielen. Die bereits seit den 80er Jahren verfolgten Differenzierungsstrategien in neue Geschäftsbereiche wie Telekommunikation und Kabelfernsehen haben sich bisher nur in seltenen Fällen ausgezahlt.

Allein im boomenden Asien-Geschäft, wo das alte Know-how im Rohstoffhandel und beim Aufbau der Infrastruktur noch immer gefragt ist, verzeichnen die Handelshäuser derzeit Gewinn- und Umsatzzunahmen. Doch die Erfolge reichen nicht, um den Trend umzukehren: „Die eigentliche Rolle der Handelshäuser ist die einer Export/ Import-Agentur,“ sagt Yukiko Ohara, Finanzexpertin der Schweizerischen Bankgesellschaft in Tokio. „Diese Rolle hat sich überlebt, weil die Firmen ihre Geschäfte selbst erledigen.“

Das Kupfergeschäft von Sumitomo ist das beste Beispiel für die überkommende Rolle des Handelshauses: Statt sich wie die Konkurrenten direkt in die Kupferminen der Dritten Welt einzukaufen, blieb Sumitomo beim traditionellen Zwischenhandel. Bald drohte dem Unternehmen der Verlust der seit Jahrhunderten beherrschenden Position auf dem Weltkupfermarkt. Erst die damit verbundene Angst vor dem Gesichtsverlust erklärt die vielleicht größte Verlustgeschichte des Jahrhunderts in einem der bislang stolzesten japanischen Unternehmen. Das Ergebnis: Nach den Jahren des Kaiserstolzes sind in Japan auch die Tage des Firmenstolzes gezählt. Kein Unternehmen erscheint mehr unantastbar.