Bedrohte Vietnamesin packt aus

Bei Großeinsatz gegen vietnamesische Zigarettenhändler-Banden wurde Maschinengewehr aus einem Dreifachmord entdeckt. Polizei über Haftrichter empört. Verdächtige freigelassen  ■ Von Plutonia Plarre

Berlin (taz) – Die Kidnapper fühlten sich so sicher, daß sie die entführte Vietnamesin selbst zum Berliner Kriminalgericht fuhren. Während die Frau als Angeklagte wegen Ladendiebstahls aussagte, warteten die bewaffneten Männer an der Pforte, um sie nach Prozeßende wieder gefangenzunehmen. Doch die Entführer, mutmaßliche Mitglieder einer Bande aus der Zigarettenmafia, hatten nicht mit dem Mut der Frau gerechnet. Zitternd vertraute sich die mit dem Tode Bedrohte dem Richter an. Beim folgenden Großeinsatz der Polizei wurden vergangenen Montag drei Wohnungen in der Stadt durchsucht und acht Vietnamesen festgenommen. Gefunden wurden mehrere Waffen, darunter eine Kalaschnikow, mit der am 14. Mai drei vietnamesische Zigarettenhändler auf einem Bahndamm „hingerichtet“ worden waren. Entgegen dem Antrag des Staatsanwalts erließ der Haftrichter aber nur gegen drei der Festgenommenen Haftbefehl wegen unbefugten Waffenbesitzes und Freiheitsberaubung. Daß die übrigen fünf Vietnamesen freigelassen wurden und danach sofort untertauchten, stieß bei den Ermittlern auf große Empörung.

Seit 1992 hat der blutige Kampf um die Marktanteile im illegalen Zigarettenhandel in Berlin 35 Tote gefordert. Nach Angaben des Leiters der Sonderermittlungsgruppe „Vietnam“, Detlef Schade, bekämpfen sich derzeit zwei Banden: Die Quang-Bien-Bande und die Ngoc-Tien-Bande. Zu letzterer sollen die drei erschossenen Händler gehören.

Die Vietnamesin steht jetzt unter staatlichem Zeugenschutz. „Sie ist absolut sicher“, erklärte ein Staatsanwalt. Die Frau sei von der Quang-Bien-Bande schon länger in einer Wohnung festgehalten, erpreßt und mit dem Tode bedroht worden, sagte Kriminaloberrat Schade. Dem Haftrichter wirft Schade vor, „mit einer zu engen Auslegung des dringenden Tatverdachts das Schreckensregime der vietnamesischen Banden zu stärken“ und das Vertrauen aussagewilliger Opfer zu verspielen. Die fünf Vietnamesen sollen behauptet haben, nur zu Besuch in den besagten Wohnungen gewesen zu sein. Dazu die Polizei: „Die Mafia- Gruppen lassen keine Unbeteiligten in Wohnungen, die als Waffendepots genutzt werden“. Die fünf Männer hätten deshalb „als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung festgesetzt werden können“, meint ein Staatsanwalt. Wie die taz erfuhr, hat sich der angegriffene Richter die Entscheidung aber nicht leicht gemacht. Er informierte sich sogar noch eigens bei anderen Staatsanwälten der Abteilung „Organisierte Kriminialität“ über die Strukturen der vietnamesischen Banden.