Mittelstand statt Sozialismus

■ Wäre die PDS eine ostdeutsche Splitterpartei geblieben, hätte sie jetzt keine Probleme. Doch die Erfolge der letzten Monate haben die Debatte um die Zukunft der Bisky-Truppe neu entfacht Von Christoph Seils

Mittelstand statt Sozialismus

Das ideologische Gericht der PDS arbeitete wie immer zuverlässig. Kaum waren die Thesen des PDS-nahen sächsischen Kleinunternehmerverbandes OWU veröffentlicht worden, quollen bei der OWU-Landesvorsitzenden Barbara Lässig die Protestnoten aus dem Faxgerät. Sie falle den kämpfenden Gewerkschaften in den Rücken, hieß es im Westen. OWU mache sich die „neoliberalen Zielstellungen“ der Bundesregierung zu eigen, schimpfte die AG Junge GenossInnen.

Mit ihren Thesen über eine PDS-Mittelstandspolitik hat die Inhaberin einer Werbefirma, die auch im sächsischen Landesvorstand sitzt, ihre Partei in Aufregung versetzt. Während die PDS gegen die Bonner Sparpläne Sturm läuft, fordern Lässig und ihre Mitstreiter die radikale Korrektur der PDS-Wirtschaftspolitik. Als wollte OWU dem Grafen Lambsdorff Konkurrenz machen, plädieren sie unter anderem für die Einführung von zwei Karenztagen im Krankheitsfall, für den Abbau von ABM- Stellen zugunsten von Lohnkostenzuschüssen sowie für niedrigere Löhne in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit.

Dies ging selbst der sächsischen PDS-Spitze zu weit. Eilig erklärte der Vorsitzende, Reinhard Lauter, das Papier sei nicht durch das Grundsatzprogramm der PDS gedeckt. Doch die Diskussion ist nicht mehr zu stoppen, die Sozialisten suchen nach einem neuen Selbstverständnis. Die Frage, ob die PDS eine ostdeutsche Volkspartei ist oder werden soll, beschäftigt die Partei auf allen Ebenen.

Die Erfolge der letzten Monate haben die PDS verändert, ihre Bedeutung in der politschen Landschaft Ostdeutschlands ist erheblich gewachsen. In Ostberlin gewann sie im letzten Herbst 34 von 36 Direktmandaten und stellt in vier Bezirken den Bürgermeister. In Mecklenburg-Vorpommern war die PDS im Frühjahr erstmals ernsthaft als Partner der SPD in einer Landesregierung im Gespräch. Im Mai erzielte die PDS bei der Volksabstimmung über die Fusion von Berlin und Brandenburg ihren in den Augen des Parteichefs Lothar Bisky bislang „größten politischen Erfolg“. Das Wählerpotential der PDS wird auf 20 bis 25 Prozent geschätzt.

Geändert haben sich auch die politischen Akteure. Nicht mehr die bekennende Kommunistin Sahra Wagenknecht oder der Traditionalist Uwe-Jens Heuer dominiert die Debatten. Auch von der Stellvertretenden Parteivorsitzenden Angela Marquardt, der Vorzeigerebellin mit den bunten Haaren, ist nichts mehr zu hören. Statt dessen bestimmt etwa der Bezirksbürgermeister von Berlin-Marzahn, Harald Buttler, der gegen den Willen der Partei die Sparvorgaben des Berliner Senats erfüllte, oder Vordenker André Brie, der Regierungsbeteiligungen der PDS fordert, die innerparteiliche Auseinandersetzung.

Den Anfang hatte kurz nach dem Referendum die sächsische Landtagsabgeordnete Christine Ostrowski gemacht. Sie empfahl der PDS in einem offenen Brief einen anderen Weg als „links von der SPD“. Die PDS solle als „ostdeutsche Volkspartei“ aus der „Mitte der ostdeutschen Gesellschaft“ heraus „anders“ als die Sozialdemokraten Politik machen. Erstmals haben sich damit die Parteipragmatiker zu Wort gemeldet.

In einer wortreichen Erklärung drückte sich die PDS in der vergangenen Woche allerdings vor einer eindeutigen Aussage zum Thema Regierungsbeteiligung. Ihr Ziel bleibe die Ablösung der CDU-geführten Regierungen sowie die „Überwindung der konservativen Hegemonie“, beschloß der Bundesvorstand. Je nach „Zeit und Situation“ soll darüber entschieden werden, wie „ein Höchstmaß an gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne der politischen Zielvorstellungen der PDS erreicht werden kann“.

Der Beschluß nimmt geschickt auf die Befindlichkeiten der Partei Rücksicht. Denn rund um die Berliner Zentrale laufen die Arbeitsgemeinschaften, Foren und Plattformen gegen die Abweichung vom fundamentalistischen Oppositionskurs Sturm. Dagegen gibt es in den Landesverbänden kaum relevanten Widerstand gegen den Kurswechsel von der Oppositions- zur Regierungspartei im Wartestand. Keiner der fünf ostdeutschen PDS-Landeschefs schließt eine Regierungsbeteiligung mehr aus. Die nächsten zwei Jahre wollen sie dazu nutzen, die PDS fit zu machen für die Macht. In Kommissionen und Arbeitsgruppen sollen in den Landesverbänden praktikable und finanzierbare Vorschläge erarbeitet werden.

Umstritten scheint lediglich, ob die PDS den Sozialdemokraten Bedingungen stellt, an denen PDS- Politik erkennbar sein soll. So formuliert es Parteichef Lothar Bisky. Sein Stellvertreter Gehrke hingegen plädiert dafür, die Latte möglichst niedrig zu hängen, um die Erwartungen der Wähler nicht zu hoch zu schrauben. In den kommenden Monaten stehen der PDS so entscheidende Debatten ins Haus. Nicht mehr Reformer gegen Ideologen heißt es dann, sondern Ökologie gegen Arbeitsplätze, Sozial- gegen Finanzpolitiker, Gewerkschafter gegen Mittelstand.

Die PDS ist auf dem besten Wege, eine ostdeutsche Volkspartei zu werden, ob sie will oder nicht. So muß sich etwa die Brandenburger PDS im September auf einem Sonderparteitag mit dem Braunkohletagebau in der Lausitz beschäftigen und der Frage, ob dem Tagebau der kleine Ort Horno geopfert werden soll. Auf einem Landesparteitag im vergangenen Dezember hatten erstmals über 1.000 Braunkohlebergarbeiter gegen den PDS-Beschluß zum Erhalt von Horno demonstriert.

Auch den ostdeutschen Kleinunternehmern wird sich die PDS widmen müssen. Schließlich wird die selbsternannte „Partei der sozial Schwachen“ häufiger vom aufstrebenden ostdeutschen Mittelstand gewählt als von Arbeitslosen. „Ab 20 Prozent Wähleranteil gibt es kein Thema mehr, um das wir uns als PDS nicht kümmern müssen“, räumt Gregor Gysi ein. Die Thesen von Ostrowski lehnt er freilich ab. „Gegen eine sozialistische Volkspartei hätte ich allerdings nichts einzuwenden.“