In den Farben der Firma

■ Henning Lohners Video-Installation "raw material" im Lichthaus

Wie eine scheue Herde, die sich nur zögernd dem Betrachter entgegen wagt, drängen sich elf Monitore in die hintere Ecke der Säulenhalle des Lichthauses. Davor ein Dutzend Klappstühle, wie in einem improvisierten Kino. „Welcome to user friendly on-screen“. Elfmal wird man von diesem Satz von den Mattscheiben begrüßt. Sie alle stehen auf ihren Verpackungskartons und zeigen einen Hintergrund von eben jenem Blauton, in dem auch der Schriftzug der Firma „Nokia“ mit dem Slogan „Connecting people“ auf den Verpackungen darunter prangt. Zufall? Wohl kaum. Eher bewußtes Konzept, mit dem in leichter Ironie die Verschränkung von Werbung und Medien zum Ausgangspunkt einer Installation gemacht wird, die selber zunächst wie ein chaotisch-zufallsartiges Kaleidoskop daherkommt, sich mit zunehmender Betrachtungsdauer jedoch als akribisch ausgefeilte Komposition entpuppt.

In jeweils 34-minütigen Schleifen, alle elf anders montiert und sich parallel endlos wiederholend, führt der Musiker und Dokumentarfilmer Henning Lohner die Welt als zersplittertes Konglomerat vor, angesichts dessen jede ganzheitliche Wahrnehmung zum Scheitern verurteilt ist und zur Beschränkung auf subjektive Sichtweisen zwingt. Da wechseln ruhige Städteansichten im Nebel mit Bildern von der industriellen Fleisch- und Fischverarbeitung, Portraits mit leeren Landstraßen, asiatische Straßenszenen mit der Freiheitsstatue und dem Eiffelturm oder bellende Hunde mit Frauen auf dem Laufsteg einander ab. Konsequent unterstützt wird das geordnete Chaos der Bilder von einer polyglotten, immer wieder rhythmisch an- und abschwellenden Flut von Interview-Fetzen in Englisch, Französisch oder Deutsch, in denen Karl Lagerfeld über Mode, Frank Zappa über Musik und div. Philosophen über den Zusammenhang von Golfkrieg und Simulation spekulieren.

Je länger man sich diesem Neben- und Durcheinander der Bild- und Wortsequenzen aussetzt, desto mehr meint man zwischen den Monitoren logische Stränge zu erkennen. Etwa wenn auf dem einen Bildschirm ein Elefant seine Dompteure zertrampelt, auf dem nächsten ein Tierkopf zerlegt wird und auf einem anderen sich eine nackte, wie Frischfleisch in Zellophan gepackte Frauengestalt am Boden windet. Oder wenn die Freiheitsstatue in immer anderen Perspektiven wiederkehrt, die schließlich das Pathos des Symbols bis zur Lächerlichkeit untergraben.

Der Effekt dieser Reizüberflutung, die Lohner mit seiner Bild- und Tonkompostion erzeugt, ist freilich ein unerwarteter: Statt im Durcheinander zunehmende Nervosität zu entwickeln, kommt man als Betrachter immer mehr zur Ruhe, legt sich einen eigenen Seh-Rhythmus zu und könnte schließlich endlos vor der Installation verharren, um die Bilder und Töne wie einen Traumteppich selbstversunkener Kontemplation zu nutzen. Hierin ähnelt das Werk des (übrigens in Bremen geborenen) John Cage-Adepten Henning Lohner demjenigen des großen alten amerikanischen Dokumentarfilmers Leo Hurwitz, der die Technik der assoziativen Montage puristischer Dokumentar-Takes wohl als erster in dieser musikalisch-kontemplativen Weise vorführte.

Statt also immerzu hektisch durch die Informationsflut des Internet zu surfen oder auf der Flucht vor der narrativen Langeweile durch die Programme der heimischen Glotze zu zappen, sollte man sich lieber mal die Zeit nehmen, das „Rohmaterial“ des öffentlich-rechtlichen Filmemachers Lohner auf sich wirken zu lassen. Denn: abschalten können Sie hier!

Moritz Wecker

Bis 12.07. im Lichthaus. Öffnungszeiten: Mo., Di. und Do. 10 – 14 Uhr, So. 12 – 15 Uhr.