Wand und Boden
: Zerlaufene Comic-Hirne lachen dich an

■ Kunst in Berlin jetzt: Pierre & Gilles, Carmen Gomez/Mischa Good, Oliver Oefelein, Ueli Etter

Der Stadtpark als Schüttelbild: Wie in einer Schneekugel hat das französische Kunstkitschpärchen Pierre & Gilles seine Models – Knackärsche, kahlköpfige Frauen und Zwischenwesen – neben Sträuchern drapiert. Die zumeist muskulösen und sehr nackten Boys sind bald unter Holunderbüschen hingesunken, bald wie der heilige Sebastian von Pfeilen durchbohrt, bald mit Sperma befleckt. „Les Plaisiers de la Forêt“ heißt eine Serie übermalter Fotografien in der Galerie Max Hetzler. Der Wink mit dem Cruising ist offensichtlich, doch Pierre & Gilles wären keine Spezialisten für Gaultier-Moden, Madonnenbilder und Plattencover, würden ihnen nicht zur abgestandenen Homo-Sex-Metapher noch schrille Ikonen einfallen. Männer in Leder spielen wie Pan auf der Flöte, eine rot flammende Diva namens Susie Beck posiert als griechische Aphrodite. Tatsächlich spielen die Bilder mit der Garten-Ästhetik bei Hofe, wo an jeder Wegbiegung eine Statue das königliche Freizeitvergnügen in göttliche Ordnung überführen sollte.

Bei Pierre & Gilles funktioniert die Aneignung auf zwei Ebenen. Ihre Fotos konterkarieren die zivilisierte Natur mit dem, was nachts in den Büschen geschieht; andererseits wirken die gestylten Jungmänner ebenso unwirklich wie Homersche Helden. Jugend selbst ist ein Mythos, auf Zeichen gebaut. Entsprechend hängen 19 Portraits in schwülstigen Glitterrahmen an der Wand gegenüber, aus denen sich ein Querschnitt der Generation X,Y,Z ergibt. Doch jeder gepiercte Nippel und jedes lungenkrank geschminkte Augenlid wirkt allzu berechnend. Punk wiederholt sich nicht im Leben, sondern auf dem Laufsteg. Vielleicht ist Kitsch für diese Ironie ein besseres Medium als alle Sex Pistols dieser Welt.

Bis 13. 7., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Zimmerstraße 89

Kunst kommt von Kompromissen. In der Regel setzen sich Arbeiten auf dem Markt durch, die vorsichtig Schock und Trend ausbalancieren. Der New Yorker „Abject“-Boom hat zwar den Kotspuren von Kiki Smith und Sue Williams ins Museum geholfen, aber die ursprünglichen Schlamm-Performer übergangen. Anzunehmen, daß auch Mischa Good Außenseiter bleibt: Seine Splatter-Sets bei Endart sind zu liebevoll gemacht für Konzept- Art und zu häßlich für Gebrauchskunst. Vierschwänzige Phallus-Männchen, Kettensägen, zerstückelte Nonnen; jede Körperöffnung hat Augen, und zerlaufene Comic-Hirne lachen dich an. De Sade in Knetgummi. Das alles ist ein bißchen krank und sorgfältig in rosa plüschumhüllte Matell-Plastikboxen eingeschweißt. Mit seinen Doktor-Kästen schlägt Good zwar eine Brücke zwischen den analen Freuden der Kindheit und onkelhaften Perversionen, danken wird es ihm am Ende wohl keiner.

Auch Carmen Gomez nicht, deren „Barbitches“ gerade in Penthouse gefeiert wurden. Die 33jährige Schweizerin hat ein Dutzend Püppchen vorbildlich aus Fimo nachgeformt, aber dabei die ohnehin deutlichen Geschlechtsmerkmale noch üppiger herausmodelliert – Barbie goes Supervixen. Andererseits gibt es Star-Trek-Girls, Hausfrauen und Verkehrspolizistinnen, was dem Ganzen ein alltägliches Antlitz geben könnte, wäre nicht die enorme Natur. Interessanterweise hat sich Gomez deshalb den Unmut von Feministinnen zugezogen, während sie selbst die Position von Salt 'N' Pepa einnimmt: „Gib den Frauen den Sex zurück!“

Bis 23. 6., Sa./So. 16–20 Uhr, Oranienstraße 28

Mit Science-fiction ist es einfacher: Wer träumt schon schlecht von elektrischen Schafen? Oliver Oefelein hat seine Vision eines Space-Tunnels installiert, der die Zentralperspektive entlang ins Unendliche zu verlaufen scheint. Die Anhäufung sich verjüngender und pfefferminzgrün abgetönter Styropor-Formen erinnert an das Wirbelsäulenmodell eines Haifischs. Das Arrangement besteht aus 30 bizarr geschnittenen Elementen, die wie Jahresringe angeordnet im Raum schweben. Anders als in der streng geometrischen Komposition vor einem Jahr bei Rafael Vostell wirkt das Ganze in der SOMA-Galerie überaus spielerisch und inszeniert, wenn man es durch die offene Fensterfront betrachtet.

Vielleicht ist das Objekt auch nur Tarnung, schließlich nennt Oefelein seine Arbeit „20.000m“ im Untertitel „Zwischen Sichtbarem und Übersehenem“. Doch selbst die unzählig verwuselten Tesastreifen, mit denen das Objekt vorsichtig aufgehängt wurde, sind sehr dominant. Dadurch wird das Verhältnis zwischen all den Dingen augenfällig, die einen Raum definieren. Das Knochengerüst wirkt darin trotzdem merkwürdig eingebunden und deplaziert zugleich.

Bis 30. 6., ganztägig geöffnet,

Ohlauer Straße 38–40

„Long live the ornament“ lautet ein Tätowierspruch. In den Arbeiten von Ueli Etter verwandelt sich dies Credo langsam in Selbstwahrnehmung. Wie eine Arabeske läuft im Studio II des Künstlerhaus Bethanien ein Streifen mit großformatigen Siebdrucken rundum. Sparsam variieren die Farben von Grau und Malve hin zu einem Schwefelton, unspektakulär auch die Motive: ein Blick aus dem Hotelfenster aufs Meer, zwei Vasen am Boden, eine Kommode in der Flucht eines schmalen Zimmers. Melancholisch driftende Reiseimpressionen, die zwischen Romantik und Sachlichkeit nicht recht trennen können. Doch über all dem schwebt ein sich endlos dahinziehendes Band weiß auf dem Bild ausgesparter Schleifen. Es ist die gebändigte, stilisierte Form, die jede Darstellung bei Etter zusammenhält und doch ins Leere laufenläßt.

„You can see forever“, so der Titel der Ausstellung, beharrt auf dem Wunsch der Malerei, Fenster zur Welt zu sein. Zugleich verflüchtigt sich dieses Bild in den konkreten Bildern. Keine Welt ist bloß räumlich, und Zeit ein Faktor von unendlicher Perfektibilität. Manchmal versucht Etter die Widersprüche zu kitten. „On a clear day“ in der Zwinger-Galerie zeigt sechs, sieben Variationen des Zimmers mit Kommode. Von Bild zu Bild wandelt sich der Winkel, wird der Ausschnitt gedehnt oder gerafft. Auch hier bleibt das Ornament als Mittler zwischen Gedächtnis und Augenblick präsent. Auf einer monochrom grauen Fläche bleibt zuletzt nur die Spur aus Kringeln übrig. Es sieht aus, als hätte Etter „ich“ schreiben wollen.

Bis 7. 7., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Bis 7. 9. Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Dresdener Str. 125 Harald Fricke