Der Ball ist rund, der Handschuh auch

■ Einige Reflexionen zum heutigen RTL-Boxkampf Schulz versus Moorer

Mit einigem Hirnschmalz hat RTL diese Sendezeit ausgewählt: Samstag abend, 21.35 Uhr. Das würde sich – aber auch nur im Falle einer Verlängerung – lediglich knapp überschneiden mit dem Ende des zweiten Viertelfinales der Fußball-EM (Frankreich-Spanien). Und wenn beide Teams noch ein Elfmeterschießen austragen müßten, dann hätte man ja noch die Tina Turner mit zwei Liedern, die live aus ihrem Hamburger Konzert in die Dortmunder Boxarena eingespielt werden.

Doch das ist nur eine kleine Unwägbarkeit, die RTL auszumessen hat auf seinem Weg, wieder eine Spitzenquote mit einem Boxkampf zu erzielen: Axel Schulz, dessen Name einer Forsa-Umfrage zufolge inzwischen von 95 Prozent aller Deutschen gekannt wird (von denen ihn gut zwei Drittel sympathisch finden), kämpft dann um die Schwergewichstskrone.

Seit Tagen müht sich RTL, das sportliche Ereignis zu preisen. Es ist das einzige, das momentan gegen die EM-Spiele der öffentlich- rechtlichen Sender mithalten könnte. An die Quote vom vergangenen Mittwoch freilich wird der Kampf nicht herankommen: Das Spiel der Bundesrepublik gegen Italien sahen gut 20 Millionen Zuschauer.

Bei ARD und ZDF sieht man dementsprechend gelassen der RTL-Show entgegen: Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Viertelfinale zwischen der DFB-Auswahl und Kroatien tags darauf die Quote des Boxkampfes locker vom Spitzenplatz verdrängen – Fußball gehört eben zum alltagskulturellen Inventar, Boxen indes nur zu den modischen Accessoires.

Die guten Tage des öffentlich- rechtlichen TV sind allerdings begrenzt. Schon am 1. Juli, dem Tag nach der EM, haben, von den Olympischen Spielen in Atlanta einmal abgesehen, die Privaten die Nasen wieder vorn. Hat doch der WDR erst kürzlich bekanntgeben müssen, auf die Zweitverwertung der Bundesliga nach Ende der „ran“-Berichterstattung auf Sat.1 zu verzichten. Es lohne sich nicht, hieß es. Künftig wolle man sich auf andere Sportarten konzentrieren.

Auf welche, hat die ARD Anfang Juni angedeutet: Kurzfristig waren die Rechte an zwei Boxkämpfen „frei auf dem Markt“ erhältlich, so Peter Jensen, NDR- Sportchef und in den siebziger Jahren Kommentator der Fights des legendären Muhammad Ali. Premiere, die Pay-TV-Station aus Hamburg, hat – wie RTL mit Maske und Schulz – ebenfalls exklusiv Boxer unter Vertrag: Dariusz Michalczewski und die Brüder Graciano und Ralf Rocchigiani.

Doch anders als in den USA, wo anläßlich des Comebacks von Mike Tyson der federführende Sender zwei Millionen Decoder für sein Pay-Programm zusätzlich verkaufen konnte, hat sich Premiere an seinen Boxern noch keine goldene Nase verdient: Michalczewski und die Rocchigianis sind prominent genug, um für einen Run auf die Decodervertriebsstellen zu sorgen. Was lag da näher, als der ARD zwei unwichtige Kämpfe anzubieten, um die eigenen Sportler öffentlich-rechtlich bekannter zu machen?

Jensen wußte um die Strategie des Premiere-Sportchefs Michael Pfad und ging trotzdem auf das Angebot ein. Hernach hagelte es zwar Kritik an der faden Show – im Gegensatz zur brutzelnden, operettenhaften Inszenierung von RTL mit Licht- und Nebeleffekten. Doch das nimmt der NDR- Mann gelassen hin: „Damit war zu rechnen. Ich möchte aber zu bedenken geben, daß wir nicht für das Rahmenprogramm verantwortlich waren – wir haben einfach nur übertragen.“

Experten erinnern sich immerhin an die gute journalistische Arbeit Jensens am Ring: Er sparte weder mit Kritik an den sportlichen Übungen der Kämpfer noch vergaß er, überhaupt zu erläutern, was außer Boxkennern niemand erkennt – im besten Sinne ein Moderator mit bemerkenswerter Sachkenntnis. Zum Lohn gab es statt der erwarteten 25 Prozent Marktanteil sogar 30 Prozent. Daß jedoch auf lange Sicht mit diesen Marktangeboten kaum Traumquoten erreicht werden können, weiß Jensen selbst: „Wir haben einfach nicht das Geld, um diese Inszenierung auszurichten.“

Vielleicht fahren ARD und ZDF gut damit, locker die Moden der Branche auszusitzen: Von den 31.000 Tickets für das Westfalenstadion in Dortmund sind erst 19.000 verkauft. Und daß eine Milliarde Menschen den Kampf weltweit sehen wollen, ist auch in erster Linie eine Behauptung von RTL. Denn wer ist schon Axel Schulz? Ein gemütlicher Kuscheltyp mit großen Fäusten und fehlender K.o.-Reputation. Ein Mann, der mit dem Charisma Tysons soviel gemein hat, wie ein Goldfisch mit einem Piranha. Boxen also – ein Hype?

Womöglich. Denn wenn erst einmal Henry Maske & Co. nicht mehr die erwarteten Leistungen bringen, kann es schnell vorbei sein mit der Telegenität des Boxens – Tennis beweist, daß ohne Becker und Graf kaum Zuschauer vor den Bildschirm zu locken sind.

Der ostdeutsche „Sir“ Henry Maske will demnächst aufhören, andere glamourfähige Boxer sind als Ersatz nicht in Sicht. Hilft am Ende doch wieder nur journalistische Kompetenz, um in der ersten Reihe der Zuschauergunst Platz nehmen zu können? Jan Feddersen