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Superheldenalltag

■ Autobiographische Geschichten des französischen Zeichners Jean-Christophe Menu: "Rhesusinkompatibilität"

Wir befinden uns im Jahre 1996. Ganz Frankreich ist von japanischen Mangas und amerikanischen Superhelden besetzt ... Ganz Frankreich? Nein! In Paris gibt es seit 1990 die Zeichnergruppe „L'Association à la pulpe“ und ihren Kopf Jean-Christophe Menu, die verbissen darauf bestehen, daß die Gallier eine eigene Tradition haben. Ihre Geschichten nehmen Abschied von Themen und Format der „Spirou“-, „Pilote“- und „Tintin“-Hefte, bewahren aber zugleich die Erinnerungen an diese Kindheitscomics.

Mit dem Untergang dieser großen Magazine ist die französische Szene in eine Krise geschlittert: Die Möglichkeit zur Vorabveröffentlichung fehlt, junge Talente können sich nicht mehr ausprobieren, und damit fehlt auch die Möglichkeit, Druckfilme billig zweimal zu verwenden. Es gibt keinen Lesernachwuchs, einzig die Mangas und die ehemals in Frankreich verpönten Superhelden können noch Auflagenzuwachs verbuchen. Und wie in Deutschland auch werden diese beiden Genres den Lesern als „Innovation“ verkauft. „Die Comicwelt kommt mir vor wie ein inzestuöses Dorf“, befand Jean- Christophe Menu vor einigen Monaten im Comicmagazin Strapazin.

L'Association will vor allen Dingen LeserInnen ansprechen, die mit dem Erwachsenwerden dem Genre untreu geworden sind; deshalb drängt der Verlag mit Macht in den Buchhandel. Jeder der sechs Zeichner der Gruppe hat eine eigene Heftreihe, alle zusammen finden sich in der regelmäßig erscheinenden Anthologie „Lapin“, dem Flaggschiff der Künstlergruppe. Es gibt billige Heftchen für zehn und teure Alben für 75 Francs, immer aber achten die Künstler auf ihre Unabhängigkeit von den großen Verlagen.

Insgesamt drei Erzählungen versammelt jetzt die erste deutsche Veröffentlichung von Jean-Christophe Menu, der Band „Rhesusinkompatibilität“. Sie zeigen die Stärke, aber auch die große Schwäche des Oberhauptes der Association. Die erste Story ist eine Reminiszenz an seine eigene Kindheit, eine liebenswürdige Hommage an die Spirou-Hefte und die anderen kleinen Schätze, die der kleine Jean-Christophe zusammenraffte. In der zweiten Geschichte, der Titelstory, geht es um Menus Lieblingsthema: seine Familie. In einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung schildert er seinen Alltag zwischen Zeichenbrett und Teppichmesser, zwischen Kinderkacke und Verlagsmanagement, während er auf die Geburt seines dritten Kindes wartet. Erst der letzte Beitrag, eine Geschichte über Numerologie und Weltuntergangsangst aus der Kiste New- Age-Kitsch, fällt etwas ab.

L'Association haben in den sechs Jahren ihres Bestehens frischen Wind in die französische Comicszene gebracht, und Menu wurde in diesem Jahr sogar für den großen Preis in Angoulême nominiert. Menu setzt, ähnlich wie die Amis um Chester Brown und Konsorten, auf hoffnungslos subjektive Geschichten. Sein Zeichenstil ist krakelig, er neigt ein wenig zum Labern, aber immer bleibt er amüsant und unterhaltsam. Wem die larmoyante Art von Jeff LeVine und Co. auf den Keks geht, der findet hier eine ausgezeichnete Alternative. Lutz Göllner

Jean-Christophe Menu: „Rhesusinkompatibilität“. Aus dem Französischen von Wolfgang Bortlik. Reprodukt Verlag, 1996, 72 Seiten, 19,80 DM

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