piwik no script img

Gerechtigkeit für Karadzic

■ Der bosnisch-serbische Führer will sich wählen lassen und gründet einen "Volksgerichtshof". Aus Belgrad gibt es Beifall

Wien (taz) – Bosniens Serbenführer Radovan Karadžić zeigt sich entschlossen, am 14. September bei den Wahlen zum ersten Nachkriegsparlament teilzunehmen – obwohl das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ihn des Völkermords beschuldigt. Nach Berichten des bosnisch-serbischen Fernsehens steht die Mehrheit der bosnischen Serben hinter ihrem Kriegshelden; da die Parteibasis der alleinregierenden „Demokratischen Partei“ von Serbisch-Bosnien keinen Grund sehe, sich dem „Diktat des Westens“ zu beugen und ihren Führer an den „CIA-Ableger in Den Haag“ auszuliefern, sei am Donnerstag an Karadžić der Wunsch ergangen, sich zur Wiederwahl zur Verfügung zu stellen.

Hinter dieser Verklausulierung steht eine neue Taktik des politischen Draufgängers Karadžić: Der Schreibtischtäter weiß, daß er nichts mehr zu verlieren hat. Außerhalb seines Machtbereiches gilt er als Bösewicht schlechthin; sollte er aus Unachtsamkeit einmal einer Nato-Militärkontrolle in die Hände fallen, wäre sein Schicksal besiegelt. Um aus dieser Schlinge überhaupt wieder herauszukommen, gibt es für ihn nur die Möglichkeit, sich vor seinem Volk als Friedensfürst zu präsentieren.

Karadžić scheint diesem Ziel immer näher zu kommen. Zwar hatte der US-amerikanische Vermittler John Kornblum in den vergangenen Wochen mehrfach beteuert, die Tage Karadžić' seien gezählt, da die USA mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević längst übereingekommen seien, den ehemaligen bosnischen Statthalter aus allen politischen Ämtern entfernen zu lassen und ihn möglicherweise sogar an Den Haag auszuliefern. Auch der Schwede Carl Bildt, UN-Beauftragter für den Wiederaufbau in Bosnien, hatte sich stets optimistisch gezeigt, daß gemäß dem Dayton-Friedensabkommen vom vergangenen Dezember „mutmaßliche Kriegsverbrecher der Strafverfolgung durch die internationale Staatengemeinschaft nicht entgehen“ würden.

Karadžić: Ich stelle mich selber vor Gericht

Doch eine Woche bevor Karadžić in Den Haag in Abwesenheit der Prozeß gemacht werden soll, rief der Großserbe am Mittwoch einen eigenen „Volksgerichtshof“ ins Leben. Dieser sei im Gegensatz zum Haager Tribunal frei von „politischer Manipulation“, versprach Karadžić, und kein „politisches Instrument der westlichen Großmächte“. Allen Vorwürfen gegen seine eigene Person werde der Gerichtshof ebenso gewissenhaft nachgehen wie den „Verbrechen an bosnischen Serben“ durch Kroaten und Bosniaken. Die Idee zu diesem Manöver stammt jedoch gar nicht von Karadžić, sondern wurde – wie einst der serbische Eroberungsfeldzug gegen Kroaten und Bosnier – in Belgrad geplant.

Es ist vor allem der langjährige Chefideologe der „Sozialistischen Partei“ Serbiens, Mihailo Marković, der auf diese Weise den „gerechten Kampf des serbischen Volkes“ weiterführen möchte. Er veröffentlichte jetzt eine neue Kampfschrift unter dem Titel „Verteidigt Karadžić“. Darin verherrlicht der einst weltweit angesehene Philosophieprofessor und ehemalige Milošević-Vertraute zusammen mit anderen Geistesgrößen Serbiens den bosnischen Serbenführer zum „modernen Staatsstrategen“, dem durch seine Erfahrung und sein Geschick eine enorme Aufgabe als künftiger Friedensschlichter zufallen werde.

Marković, der in den 70er Jahren zusammen mit den Philosophiekollegen György Lukács und Ernst Bloch die legendäre „Praxisgruppe“ führte, ist heute überzeugt davon, daß die Deutschen an einem „Vierten Reich“ basteln. Mit einer „ideologischen Offensive“ organisiert der Denker also nun eine „Gegenfront gegen die drohende Unterjochung“. Im Umkreis von Milošević sammelt Marković Politiker und Militärs, die Karadžić die Stange halten. Karl Gersuny

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen