Zehntausend Verbrecher dringend gesucht

■ Südafrika gilt weltweit als das gewalttätigste Land außerhalb eines Krieges. Nun will die Regierung binnen 30 Tagen mit 40.000 Soldaten 10.000 Kriminelle schnappen

Johannesburg (taz) – Die Vorhersage von Südafrikas Polizeichef ist ebenso verheißungsvoll wie unrealistisch. Im Jahr 2020, so George Fivaz am vergangenen Wochenende, werde Südafrika frei von Kriminalität sein – vorausgesetzt, daß die „Nationale Strategie zur Verbrechensverhinderung“ der Regierung ein Erfolg werde. Seit dem Regierungswechsel am Kap vor zwei Jahren schnellen die Kriminalitätsstatistiken scheinbar unaufhaltsam in die Höhe, nehmen vor allem Gewaltverbrechen wie Mord, Raubüberfälle und Auto-Hijacking drastisch zu. Südafrika gilt als das gewalttätigste Land auf der Welt außerhalb einer Kriegszone.

Ende Mai veröffentlichte die Regierung mit monatelanger Verzögerung ihre Strategie, die unter anderem eine engere Kooperation zwischen allen beteiligten Ministerien und Aufklärungsmaßnahmen in der Bevölkerung vorsieht. In der vergangenen Woche legte Polizeichef Fivaz dem Parlament in Kapstadt einen sogenannten „Schwert und Schild“-Plan vor. Binnen dreißig Tagen will Südafrikas Polizei demnach die 10.000 meistgesuchten Verbrecher des Landes schnappen; insgesamt werden derzeit landesweit 237.000 Kriminelle gesucht. Überall im Land soll die Polizei „sichtbar“ sein und stärkere Präsenz zeigen. Langfristig sieht der Plan auch vor, die Grenzen zu den Nachbarländern schärfer zu kontrollieren, um den Waffenschmuggel in den Griff zu bekommen.

Doch das ehrgeizige Projekt stößt auf große Schwierigkeiten. Südafrikas Justiz, Polizei und Gefängnisse sind vollkommen überlastet und ineffektiv. Darüber hinaus scheint die versprochene Koordination nur sehr begrenzt stattzufinden. Justizminister Dullah Omar (ANC) warf Fivaz prompt mangelnde Absprache vor. Fivaz wies das empört zurück und erklärte, schließlich gebe es ein gemeinsames Komitee aller betroffenen Ministerien.

Um die Sache zu beschleunigen, erklärte Präsident Nelson Mandela am Donnerstag abend im Parlament, daß sofort 40.000 Soldaten abgestellt werden, um der Polizei zur Seite zu stehen, zum Beispiel bei Durchsuchungen, Straßenblockaden und Grenzkontrollen. Die enge Zusammenarbeit von Polizei und Armee hat in Südafrika Tradition. Knüppelten und schossen beide gemeinsam einst die Aufstände der Schwarzen gegen die Apartheid nieder, sollen sie etwa in der kommenden Woche gemeinsam dafür sorgen, daß in KwaZulu/Natal die ersten demokratischen Kommunalwahlen stattfinden können. Ingesamt 26.000 Polizisten und Soldaten werden dort im Einsatz sein.

Welche Fortschritte es indessen beim „Schwert und Schild“-Plan gibt, weiß auch das Polizeihauptquartier in Pretoria nicht zu sagen. Die Operation werde in allen neun Provinzen getrennt durchgeführt, so ein Sprecher von Fivaz gestern gegenüber der taz, und erst am Ende der dreißig Tage werde man in der Lage sein, genaue Zahlen bekanntzugeben. „Aber wir sind sehr optimistisch“, so Sergeant Kader. Eines wußte er allerdings nicht: Was passiert mit den Verhafteten? Südafrikas Gefängnisse sind nach einer Studie des zuständigen „Ministeriums für korrigierende Dienste“ vom vergangenen Jahr chronisch überfüllt, durchschnittlich zu 30 Prozent, einige sogar zu 50 Prozent. Außerdem heißt es nach südafrikanischem Strafrecht nicht viel, wenn Verbrecher verhaftet werden. Die allermeisten, auch mutmaßliche Mörder, werden einem Richter vorgeführt und dann auf Kaution freigelassen. Kordula Doerfler