■ Für Wildschweinfleisch gibt es wegen der Schweinepest ein Importverbot. Doch ist das Fleisch zerlegt und eingefroren, kann man es als solches kaum mehr erkennen. Anreiz genug für Händler aller Art.
: Wild ohne Grenzen

Für Wildschweinfleisch gibt es wegen der Schweinepest ein Importverbot. Doch ist das Fleisch zerlegt und eingefroren, kann man es als solches kaum mehr erkennen. Anreiz genug für Händler aller Art.

Wild ohne Grenzen

Hubert Kernhaut* haut mit der Faust auf den Tisch. „Ja, glauben Sie denn, wir wüßten nicht, was da abläuft. Wir vermuten schon seit langem, daß da was nicht mit rechten Dingen zugeht.“ Der Wildhändler aus Süddeutschland, der seinen Namen nicht veröffentlichen lassen will, ist sauer. Und das nicht nur, weil die Gefahr besteht, daß durch die illegal eingeführten Wildschweine die Schweinepest erneut in Deutschland verbreitet werden könnte.

Was ihn auf die Palme bringt, ist zum einen, daß durch den Schmuggel der Preis für das nicht gerade billige Fleisch — 25 DM kostet das Kilo Rücken — drastisch sinkt. Zum anderen droht der ganzen Branche ein erneuter Einbruch zu einer Zeit, in der der Verbrauch von Wildschwein, der nach der Katastrophe von Tschernobyl drastisch zurückging, sich endlich wieder dem alten Umfang nähert. Nirgendwo auf der Welt wird mehr Wild gegessen als in Deutschland, und jetzt das! Seit etwa vier Jahren ist die Einfuhr von Wildschweinfleisch aus den meisten osteuropäischen Ländern (Ausnahme Ungarn, in Kürze Teile der Tschechischen Republik) in die EU verboten. Grund dafür ist die dort grassierende Wildschweinpest. Doch kaum wurden die östlichen Grenzen für die Wildschweinlieferungen zugemacht, verfiel in Polen und anderswo der Preis, ein traditioneller Abnehmer war plötzlich weggefallen. Wildschwein wurde zum Spottpreis von nur 2 Mark pro Kilogramm angeboten. Vor dem Exportverbot waren es noch rund 6 bis 7 Mark. Wohin mit den polnischen Wildschweinen, so lautete nun die Frage. Denn dort steht Wild kaum auf dem Speiseplan. 80 bis 90 Prozent des polnischen Wildschweinfleischs ging bis dahin in den Export.

Gleichzeitig stieg jedoch in der EU, vor allem auch in Deutschland, wegen des drastisch gesunkenen Angebots der Wildschweinpreis erheblich an. „Wundern Sie sich da, wenn dann jemand auf die Idee kommt, diese Situation auszunützen“, fragt ein Veterinär, der an einem großen deutschen Einfuhr- Zollamt für Tierkontrollen zuständig ist. „In der Branche fragt man sich seit langem, warum die Lager und Kühlhallen in Polen nicht längst überquellen, denn gejagt werden müssen die Tiere ja, sonst gäbe es unüberschaubare Wildschäden.“

Von einem Überangebot könne jedoch keine Rede sein, so Wildfachmann Kernhaut. „Einzige Erklärung wäre, daß Asterix seiner Wildschweinlust dort freien Lauf gelassen hat“, merkt der Händler ironisch an.

Wie aber sehen die verschlungenen Wege des osteuropäischen Wildschweins aus, wie kommt es in die EU? Der anonyme Anzeigenerstatter, der der taz seine Unterlagen zuspielte, ist ganz offensichtlich ein Insider. Er listete die Autonummern der Firmen in Deutschland, Italien, der Slowakei und Polen genauestens auf. Außerdem teilte er den Fahndern die EU-Zulassungsnummern der verdächtigten Im- und Exportbetriebe mit. Während die deutschen Wildhändler vorwiegend falsch deklariertes Wildschweinfleisch aus Polen einführen, importieren italienische Händler vor allem aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien.

Zwei Transportvarianten sind es, die die Ermittler derzeit intensiv prüfen. Zum einen besteht der Verdacht, daß durch gefälschte Papiere Wildschweinfleisch aus sogenannten „sauberen“ Ländern eingeführt werden könnte, das aber tatsächlich aus Ländern stammt, die von der Wildschweinepest betroffen sind.

Weit wahrscheinlicher aber ist ein zweiter Weg. Nachdem rund 70 Prozent Wild zerlegt und tiefgekühlt eingeführt wird, deklarieren die Betrüger das Wildschweinfleisch als Hirschfleisch. Selbst bei strengsten Kontrollen kann es in den Kühllastwagen so kaum identifiziert werden. „Wild ist nun mal im gefrorenen Zustand kaum auseinanderzuhalten“, sagt Zollfahnder Günther Herrmann.

Er weiß, wovon er spricht. Schließlich war es Herrmann, der in den 70er Jahren maßgeblich daran beteiligt war, den wohl größten Wildskandal der Bundesrepublik auffliegen zu lassen. Österreichische und süddeutsche Wildhändler wurden damals zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt. Afrikanische Antilopen waren in großen Mengen als Hirsch und Reh aus Österreich eingeführt worden.

Auch Dr. Franz Wiesenreiter, Veterinär beim Landratsamt Cham, bestätigt, daß es „ausgesprochen schwierig ist, bei zerlegten Tierteilen zu erkennen, ob es wirklich Hirschfleisch ist.“ Erst eine genaue Tierartbestimmung im Labor könne gerichtsverwertbare Beweise liefern. Und Wildhändler Kernhaut sagt: „Wissen Sie, was für ein Geschrei an den Grenzen ist, wenn die tierärztlichen Kontrollen zu lange dauern und der sowieso schon kilometerlange LKW-Stau immer noch länger wird?. Die können doch gar nicht so genau kontrollieren, für die Schmuggler ist das Geschäft mit einem sehr geringen Risiko verbunden.“ In einem LKW seien in der Regel mehr als 20 Tonnen Fleisch auf 24 Paletten zu je 900 Kilogramm gestapelt, dies unterteilt in mindestens acht bis zehn verschiedene Partien, wie Hals, Rücken, Filet.

Caspar von der Crune, Geschäftsführer beim Bundesverband des Wild- und Geflügel- Groß- und Einzelhandels, weiß von illegalen Geschäften mit Wildschwein bisher nichts. Daß die schwarzen Schafe der Branche den enormen Preisanstieg bei Wildschweinfleisch ausnützen, will auch der Verbandsvertreter nicht abstreiten.

Klaus Wittmann, Augsburg

*Name von der Redaktion geändert