Mit Schweinepest frisch auf den Tisch

■ Seit Jahren wird verseuchtes Wildschweinfleisch aus Osteuropa in die EU geschmuggelt. Ermittler lassen sich Zeit

München/Lindau (taz) – Der Rinderwahn ist noch nicht vom Tisch, da ist der nächste Fleischskandal schon perfekt: Seit mindestens zwei Jahren wurden Hunderte Tonnen durch Schweinepest verseuchtes Wildschwein aus Osteuropa in die Europäische Union eingeschleust. Das Fleisch wird nach Informationen der taz aus Polen, Rumänien, Exjugoslawien und anderen osteuropäischen Staaten als Hirschfleisch deklariert in die EU, und vor allem nach Deutschland, eingeführt. Wegen der grassierenden Schweinepest hat die EU vor vier Jahren die Einfuhr von Wildschwein aus sämtlichen osteuropäischen Ländern außer Ungarn untersagt.

Die für Wirtschaftskriminalität zuständige Staatsanwaltschaft in Augsburg und der Chef der Lindauer Zollfahndung, Günther Herrmann, bestätigten gestern, daß entsprechende Unterlagen, die der taz zugespielt wurden, seit Monaten Gegenstand intensiver Ermittlungen sind. Aus dem anonymen Schreiben geht detailliert hervor, wie das schmutzige Geschäft mit den verseuchten Wildschweinen vonstatten geht: „Aus Polen stammendes Wildschweinfleisch wird gut entfettet, in seine Einzelteile zerlegt und gemeinsam mit Hirschteilen als Hirschfleisch in die EU verbracht“, so das Schreiben. In Deutschland wird der Hirsch dann wieder zum Wildschwein umdeklariert.

Das Schreiben ging nach Aussage des taz-Informanten bereits vor Monaten an die Ermittler, ohne daß etwas geschah. „Wir sind an dieser Sache dran“, erklärte gestern Günther Herrmann. „Es ist richtig, daß wir davon in Kenntnis gesetzt wurden, daß nichteinfuhrfähiges Wildfleisch aus Polen auf verschiedenen Wegen in die Bundesrepublik eingeführt wird.“ Gegen mehrere deutsche Wildhändler werde ermittelt. Namen könnten nicht genannt werden, um die Untersuchungen nicht zu gefährden.

Der taz liegen allerdings Listen der betroffenen Firmen sowie die Kennzeichen von Fahrzeugen, mit denen Wildschweinfleisch geschmuggelt worden sein soll, vor. Auch ein großer deutscher Wildhändler, der namentlich nicht genannt werden will, bestätigte der taz, daß es in der Branche schon seit langem den Verdacht gebe, daß derartige Geschäfte laufen. Über ähnliche Informationen verfügen auch Veterinäre an mehreren deutschen Grenzübergängen. Der Bundesverband des Wild- und Geflügel-Groß- und Einzelhandels gab an, bislang keine Kenntnis von derartigen Vorfällen zu haben. Als größter Wildimporteur Europas ist Deutschland von dem Skandal besonders betroffen.

Klaus Wittmann Tagesthema Seite 3