■ Soundcheck
: Gehört: Tina Turner, Ministry und El Vez

Gehört: Tina Turner. Ihre Seligkeit, die hl. Tina aus Nutbush City, enttäuschte ihre Kirche nicht. 50.000 begeisterte Gläubige im Volksparkstadion wurden wieder in den Mysterien der „Power-Frau“ unterwiesen und erfuhren zwei ekstatische Stunden lang die segensreiche Kraft des Heiligen Watt. Mit viel Lautstärke und Videolicht direkt aus der Seele der goldäugigen Verführerin ergab sich die durchfrorene Betgemeinschaft der heilsbringenden Verbindung von Technik und Teufel. Tina, wie ihre große Gemeinde sie liebevoll nennt, verstahlte den Glanz des goldenen Kalbes des Soul, und zornig kann da nur werden, wer die zehn Gebote des guten Geschmacks in der Tasche hat, die mit dem Gebot beginnen: „Du sollst nicht mainstreamen!“ Alle anderen, die im Leben nur die einfachen Weihen der gemeinen Wonnen suchen, fanden „echtes Gefühl“. Oh, Tina! Wo nimmst du diese „Power“ her? Petra Möbel/Foto: jms

Gehört: Ministry. Das Pappschild am Eingang sprach eine deutliche Sprache: „Keine Haftung für Gehörschäden!“ Dabei ging der infernale Terror-Sound der Texaner nicht nur durch die Ohren, sondern auch in Magen und Knie. Ähnlich brutal Optik und Musik: dieses Jahr „nur“ drei Gitarren, grelle Lichtblitze, schrille Video-Animationen und Al Jourgensen im schwarzen Ledermantel, mit Schaftstiefeln und dunkler Mütze. Dazu sägende Gitarren, heulende Samples und eine mit Echos übersäte Vocoder-Stimme, die Texte über Drogen, Politiker und Motorräder brüllte. Doch Ministry sind stilecht, das Zusammenspiel aus Sound und Präsenz für die deutsche Epigonenschar unerreichbar. Ebenso ihre Liebe zur Provokation: 45 Mark Eintritt, schmerzende Lautstärke und nach 30 Minuten der erste Abgang. Das halbleere Docks liebte sie dafür. Timo Hoffmann

Gehört: El Vez. Tollenträger pomadigster Sorte mit Rockabilly-Miezen in H&M-Röcken kamen Freitag in die Große Freiheit, um die Reinkarnation des Kings in ihrer mexikanischen Leibhaftigkeit, El Vez, rockend erleben zu dürfen. Doch keine Las-Vegas-Show, sondern das Motto „Peace, Pride and Change“ als paramilitärisches Zerrbild erwartete die Unterhaltungswilligen. Flankiert von zwei Go-Go-Tank-Girls betrieb der Mexico-Latino aus East LA seine penibel einstudierte Revolutionsshow. „If you're not part of the revolution, you're part of the problem!“ Vor mexikanischer Flagge vereinte er James Browns „Say it loud...“ mit Glitterrock a la T-Rex oder Lennons „Power To The People“. Gar Webbers „Lowrider“ hatte er sich angenommen. Politparolen, narzistische Posen und chauvinistisches Gehabe verrieten den Glamour liebenden Verkleidungsschreck als pubertierenden Egomanen. Daß er daneben noch Energie für Songs über Frida Kahlo und den Chicano-Aktivisten Cesar Chavez übrig hatte, wunderte. Seinem Prop-Rock'n'Roll reichten weiße Chicanas Rosen und Unterhosen. Stolz und glücklich ließ er sie mit einem Kondom zurück, nicht mehr. Ohh...

Britt-Kristin Feldmann