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Waldecho überm Wesertal

■ Die Musik der Berge erfüllte das Bremer Flachland: Mike Svoboda und seine „Alphornspezis“ zogen einen Tag lang als tapfere Bläser-Karawane durch die Stadt

Ehrfürchtig weichen die Japanerinnen einen Schritt zurück und drücken sich an die Sandsteinmauer. Neun Herren, darunter stramme Burschen in Krachledernen, machen sich in der Altstadt-Gasse im Schnoor breit, bewaffnet mit mächtigen Blasinstrumenten. Der Blondschopf in ihrer Mitte, der mit den roten Wangen auf dem Lausbubengesicht – der muß ihr Boß sein. Ein Germane wie aus dem Bilderbuch. Er atmet tief ein, und mächtige, langgezogene Baßtöne durchdringen die Luft. Kein Zweifel für die japanischen Gäste: Hier findet ein echt bremisches Ritual statt. Heimatklänge des Nordens, Folklore in Reinkultur. Die Stadtmusikanten-Souvenirs im Schaufenster nebenan nicken froh im Takt dazu.

Allein: Mit Bremen hat diese Sorte Brauchtum natürlich rein gar nichts zu tun. Die echte Folklore fand am falschen Platz statt. Denn bei den Blasrohren handelte es sich Alphörner. Und „das Alphorn gehört in die Berge hinein“, wie im legendären „Alphornbüechli“ von 1938 eingeschrieben steht. Auch der blonde Oberhirte ist weder Bremer noch Bayer noch Berner. „Der Mike“, wie sie ihn in seiner Wahlheimat im Schwabenland nennen, der Svoboda Mike stammt aus Chicago. Und seine Gesellen, die acht „Alphornspezis“, kommen aus der halben Republik zusammen, von Dettenhausen bis Achim, um den schönen Alphornklang zu pflegen. Und sei's im Flachland. Am Wochenende zog die bunte Bande durch Bremen, angestiftet durch den experimentierfreudigen Bremer „Dacapo“-Chef Ingo Ahmels. Und siehe: Nicht nur die Touristen, auch die Alphornisten staunten, wie schön die Schweizer Bergmusik im Norden klingen kann.

„Prüfe also erst deinen Standort auf guten Klang und Fernwirkung“, heißt es im „Alphornbüechli“ unter Punkt Eins. Schon auf dem Hotelzimmer am Bahnhof haben die ersten Alphornisten Samstagfrüh mit der Prüfung begonnen. Kurz nach Elf ist dann der erste brauchbare Standort gefunden. Auf dem Hillmannplatz werden die letzten Spätaufsteher aus den Betten geblasen, mit dem markerschütternden „Waldecho“. „Ein Alltime-Alphorn-Favourite“, strahlt Mike.

Sogar ein wenig Gebirgshall hat's am Bremer Bahnhof. Die drei Herren von den „Holzelfinger Alphornbläsern“, die einzigen in zünftiger Tracht, registrieren es mit fachmännischer Miene. „Der Ton verhallt nicht sofort“, urteilt der Brändle Olaf. Das Gebäude-Dreieck aus Bremer Sparkasse, Hotel „Schaper Siedenburg“ und dem Bau der DBV-Versicherung spendet das, was Bremen an dramatischem Schluchtenecho zu bieten hat. Die steinerne Rückriem-Plastik auf dem Platz gibt einen Hauch von Matterhorn dazu. Freilich: Daheim, im waldumsäumten Tal bei Holzelfingen, „da ham' mir schon sieben Sekunden Hall gemessen, da geht's Echo 12, 13 Mal herum!“

Solche Heimatgefühle können es nicht gewesen sein, die den Svoboda Mike aufs Alphorn brachten. Geboren in der Südsee, auf der Insel Guam, wo Daddy stationiert war; aufgewachsen In Chicago; Musikstudium ebendort; dann Seminare in Darmstadt und Tübingen; die Ehefrau schließlich lernte er im schwäbischen Dettenhausen kennen. Wie auch das Alphorn.

Eine romantische Silvesternacht stiftete die Begegnung. Der Mike und seine Angebetete beim Jahresausklangkonzert. Der Zimmermann Heinz, Gärtner und Häuptling von Dettenhausen, bläst auf dem Dorfplatz sein Alphorn, das neue Jahr zu grüßen. Der Mike ist hin und weg. Die Männer freuden sich an. Der Heinz bekommt Musikunterricht, der Mike sein erstes Alphorn.

Die Freude an exotischen Instrumenten hat Svoboda stets besessen. Bei seinen Solo-Konzerten bläst er auf Südsee-Muscheln, Gartenschläuchen, Plastikröhren und Trichtern aller Art. Solange nur ein Mundstück für Posaune draufpaßt. Das ist nämlich Svobodas eigentliches Leibinstrument. Doch hinter der Liebe zum Alphorn steckt mehr als nur der Spaß am Kuriosen, sagt er. Das Alphorn ist das einzige Instrument, das ausschließlich reine Naturtöne hervorbringen. Es gibt keine Klappen, Ventile oder Tasten – nur den menschlichen Atem und das dreieinhalb Meter lange Fichtenrohr. „Du mußt mit so wenig Tönen etwas sagen“, das sei schon einmalig, erklärt Svoboda seine Leidenschaft. Da zähle jede kleine Nuance, jede Modulation der sehnsuchtsvollen Töne. „Bist du gar ein Meister deines Faches“, schreibt das Alphornbüechli, „dann lasse durch ein weiches Vibrato deine Seele mitschwingen; das ist die Vollendung des Naturspiels.“ Svoboda, der Südsee-Einwanderer, läßt sein Alphorn so zart vibrieren, läßt mit seinem Atem die rufenden Töne so sanft an- und abschwellen, daß selbst die Schwaben ihren Trachtenhut ziehen.

So schallen die weichen, warmen Horntöne über die Plätze und Straßen der Stadt. Am Goetheplatz wirft die hohe Fassade des Theaters den Klang zurück; die Holzelfinger sind begeistert; sofort legen sie ihre flotte „Pregitzer Alphornpolka“ nach. In der schmalen Schnoorgasse reihen sich die Spezis hintereinander auf, reichen Ton für langen Ton weiter. Und beim Klavierhändler „Backhaus“ erleben selbst die abgebrühten Holzelfinger ihr Wunder. Ein Dutzend edler Flügel steht dort aufgeklappt. Jede Tonfolge der Bläser bringt die Klaviersaiten zum Schwingen – ein Echo wie aus einem Märchenfilm, ein unbeschreiblich schöner, ätherischer Pedelnebel breitet sich um die Spezis aus. „Des is a Wahnsinn“, schüttelt der Brändle Olaf sein Haupt.

Am Ende finden die Alphornisten doch noch in die freie Natur. Am Weserufer, dort, wo der Fluß eine große Biegung beschreibt, blasen die Spezis zum Abschied. Man prüft abermals den Standort, streng nach Regel Nummer Eins. „Guter Klang und Fernwirkung“, befindet der Mike, lassen sich am besten vom Dach des Bürgerhauses „Weserterrassen“ erzielen. Von dort hallt, den Flaneuren am Ufer zur Freude, einmal noch das „Waldecho“ hinaus ins Tal.

Thomas Wolff

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