Nachgefragt
: „Arbeitsvermittlung um jeden Preis“

■ Zu den Folgen des AFRG für Bremen

Das „Arbeitsförderungs-Reformgesetz“ (AFRG) der Bundesregierung wurde am vergangenen Donnerstag im Bundestag heftig diskutiert. Allein für 1997 sind Einsparungen von 1,7 Milliarden Mark geplant, die durch Kürzung von ABM, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen in Ost-Deutschland aufgebracht werden sollen. Das Verhältnis von Menschen in ABM zu Arbeitlosen in Ostdeutschland, das durchschnittlich bei 43 zu 100 liegt, soll auf das West-Niveau von 13 zu 100 abgesenkt werden. Doch das Gesetz würde auch in strukturschwachen Gebieten Westdeutschlands zu gravierenden Veränderungen führen, befürchtet die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Bündnis 90/ Grüne).

taz: Was würde sich, wenn das Gesetz so beschlossen würde, in Bremen ändern?

Marieluise Beck: Das AFRG verfolgt die Strategie, einen „zweiten Arbeitsmarkt“ im ersten zu etablieren. Das bedeutet, daß die Bremer Verhältnisse, also die gut ausgebildete Struktur freier Träger, sich vermutlich sehr stark zurückentwickeln wird. Die ABM werden abnehmen, ebenso die Fortbildung und Umschulung. Statt dessen sind eine Ausweitung der Förderung von Beschäftigten im ersten Arbeitsmarkt geplant und vielfältige Erleichterungen und finanzielle Unterstützung für die Arbeitgeber. Der arbeitsrechtliche Schutz wird abgesenkt. Der Druck auf die Arbeitsämter wächst, denn ihre Arbeit wird künftig nach ihrem Eingliederungserfolg in den ersten Arbeitsmarkt bewertet und weniger an Qualifikation und Beschäftigung.

Wogegen wenden Sie sich konkret?

Es geht um die Wahl der Mittel und die Konsequenzen. Das AFRG stellt die Arbeitskraft ganz ungeschützt und zu schlechten Bedingungen zur Verfügung. Das soll die Arbeitgeber motivieren, die Erwerbslosen anzustellen. Unterstützt wird das durch die Berechtigung zur Mehrfach-Befristung von Arbeitsverträgen und die faktische Reduzierung des Kündigungsschutzes. Insgesamt wird also der Standard im ersten Arbeitsmarkt abgesenkt.

Kann man das in Zahlen für Bremen benennen?

Nein, aber man kann erste Strukturveränderungen benennen. Die neue Arbeits-Förderpolitik führt zur massiven Ausweitung von Leiharbeit, gewerblicher Arbeitsvermittlung und der Organisation von befristeten Arbeitsverträgen. Das alles mit AFRG-Mitteln. Ein Beispiel ist die Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft „Mypegasus“ des bankrotten Vulkan-Verbundes.

Wird ein Niedriglohn-Sektor etabliert?

Ja. Und es wird Abschied genommen von der Vorstellung, daß der zweite Arbeitsmarkt die persönliche Qualifikation erhöhen und dem Ziel von Beschäftigung genüge tun muß. Statt dessen heißt es jetzt: Vermittlung um jeden Preis.

Dazu kommt, daß Länder und Kommunen künftig mehr Geld in ABM und Fortbildung stecken müssen, um auch nur ihr jetziges Niveau zu halten. Denn die Fördersätze der Bundesanstalt für Arbeit werden auf 30 bis 75 Prozent heruntergeschraubt. Das heißt: Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit – wie Bremen – werden zum Teil Programme gar nicht abrufen können, weil sie die zusätzlichen Fördergelder nicht aufbringen. Der Rückgang des zweiten Arbeitsmarktes wird hier besonders hart zu spüren sein.

Was kann man dagegen tun?

In Bremen ist die Koalition gefragt. CDU und SPD haben gesagt, sie stellen den guten Draht nach Bonn her und können für Bremen mehr rausholen. Jetzt soll die SPD sagen, wie sie ihrem Partner CDU Beine machen will. uk