Papstfieber nur auf Krankenschein

■ Berlin zeigte zum ersten Besuch eines Papstes keine religiöse Inbrunst, sondern nur freundliches Interesse. Statt der erhofften 130.000 kamen nur 90.000 Menschen ins Olympiastadion. Rede am Brandenburger Tor: Keine Freiheit ohne Wahrheit

Das wirkliche Papstfieber in Berlin wird wohl erst in einer Woche ausbrechen. Dann nämlich, wenn die Erkältung, die sich gestern Hunderte von KatholikInnen im windigen Olympiastadion holten, in Fieberanfälle übergeht. Kaltes Wetter und dunkler Himmel sorgten dafür, daß statt der erwarteten 130.000 Gläubigen nur 90.000 ins Olympiastadion kamen. Auch sonst verlief der erste Besuch eines Papstes in Berlin unspektakulär: Das befürchtete Verkehrschaos blieb aus. Und bei den meisten BerlinerInnen, die ins Olympiastadion gekommen waren, überwog freundliches Interesse die inbrünstige Verehrung.

Denn trotz drei Stunden Fahnengeschwenks und Musik zum Aufwärmen erhob sich im Stadionrund bei der Einfahrt des Oberhirten kein Begeisterungssturm und keine La-ola-Welle, sondern nur Beifall. Die Gläubigen, die auf dem Maifeld vor einer Videowand ausharrten, hätten gut im Stadion untergebracht werden können.

Hier sprach das Oberhaupt der katholischen Kirche die Priester Bernhard Lichtberg und Karl Leisner selig und rief die Menschen in seiner Predigt zur Wachsamkeit gegenüber „falschen Propheten“ auf. Die Menschen sollten an Christus festhalten: „Widersteht der Kultur des Hasses und des Todes, unter welchem Gewand sie auch immer auftritt.“ Einen päpstlichen Rüffel mußte der Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe, der den Gottesdienst besuchte, einstecken. Mit Blick auf den Streit um das Ethikfach LER, das den Religionsunterricht ersetzt, betonte der Papst, es solle darauf geachtet werden, daß dem „Grundgesetz sowohl dem Geist als auch dem Buchstaben nach in den neuen Bundesländern Rechnung getragen“ werde.

Für Irritation sorgte Johannes Paul II., weil er eine Passage im vorbereiteten Redetext ausließ, die Papst Pius XII. als Helfer der von den Nazis Verfolgten bezeichnete. Wirkliche Begeisterung erweckte der Papst nur bei den etwa 20.000 KatholikInnen aus Polen und den fundamentalistischen Gruppen der „Neokatechumenalen Bewegung“. Selbst Papstgegner dagegen verursachten keine Aufregung. Ein einzelner Zwischenrufer im weiten Rund des Stadions hatte gegen die Mikrofonanlage keine Chance, die kleinen Gruppen von Vegetariern („Du sollst nicht töten!“) oder Kirchenfeinden mit einem Transparent „Heuchler“ vor dem Eingang wurden größtenteils ignoriert.

„Freiheit“ war das Leitmotiv der päpstlichen Ansprache am Brandenburger Tor. Der Mensch sei berufen, frei zu sein, doch Freiheit gebe es nicht ohne Wahrheit, Solidarität, Liebe und Opfer. Freiheit habe auch einen Namen: „Jesus Christus“. Bernhard Pötter