Die Architekten und der Wille zur Macht

Massimo Cacciari, Philosoph und Bürgermeister von Venedig, kritisiert in seinem Buch „Großstadt. Baukunst. Nihilismus“ die Architektur der Moderne und rettet zugleich deren Protagonisten Adolf Loos und Mies van der Rohe  ■ Von Stephan Trüby

Der Verzicht auf alles, was im entferntesten an die Stilmeierei des Historismus erinnern könnte, brachte dem „Café Museum“ nahe der Wiener Oper, 1899 von Adolf Loos eingerichtet, bald den Namen „Café Nihilismus“ ein. Mit Nihilismus war das architektonische Großreinemachen, der programmatische Verzicht aufs Ornamentale gemeint. Der italienische Kulturphilosoph Massimo Cacciari will nun in seiner neuen Aufsatzsammlung ausgerechnet Loos für eine „Schule des Widerstands gegen den Geist des vollendeten Nihilismus“ reklamieren.

Die Publikation, ein „Plädoyer für eine neue Klassik“, vereinigt Essays, die während der achtziger Jahre vor allem in der italienischen Architekturzeitschrift Casabella veröffentlicht worden sind. Cacciari, 1944 geboren, sieht den Nihilismus, von Friedrich Nietzsche als „radikale Ablehnung von Wert, Sinn und Wünschbarkeit“ definiert, durch den Städtebau und die Architektur der Moderne erfüllt. Die „Technik-Sprache“, so Cacciari anspielungsreich, reduziere den „Wert auf das Bewertete“, Sinnhaltiges habe sich in eine „Figur des Produzierens“ verflüchtigt; die Wünsche seien einer „gänzlichen Illusionslosigkeit“ gewichen. Der Autor, Professor an der Universität Venedig und seit 1993 auch Bürgermeister der Stadt, sieht die Metropolen des 20. Jahrhunderts von einer „Architektur ohne Eigenschaften“ geprägt, durchdrungen vom „vermessen-kalkulierten Raum des Willens zur Macht“.

Cacciari hält das Thema der Entwurzelung für das „ikonologisch Wesentliche“ der Architektur der Moderne. Der „international style“, den Henry Russel Hitchcock und Philip Johnson 1932 etwa in den Bauten von Oud, Gropius und Le Corbusier ausmachten, erträgt nur schwer einen konkreten Ort: Auf Stützen werden die Wohnkisten gepflanzt; der flachplanierte Baugrund gilt als ideale Topographie. Auch dem Moment des Ertastens entsagen die weißen Häuser der Moderne. Sie beschränken sich auf das Sichtbare und skandieren, wie der Architekturtheoretiker Kenneth Frampton einmal festgestellt hat, einen „Verlust von Nähe“. Nur ja nicht von den Eigenheiten des Regionalen und Lokalen überrascht zu werden, ist, so Cacciari, der Wille des modernen „Projekts“.

Was macht nun Loos zum Kritiker des Projekts, zum Widerständler gegen den reinen Nihilismus? Das Janusgesicht seiner Häuser, ihre Subversivität, ihre Gleichzeitigkeit divergierender Stile. Nach außen erscheinen sie meist als nüchtern weiße Kuben. Innen finden sich die dichten Packungen holzgetäfelter Räume. Die Fassaden, führt Cacciari aus, reflektieren die Entortungsstrategien der Moderne. In den Interieurs dagegen „lebt ein unendlicher Kommentar zum Ort“. Der Autor sieht die kompositorische Intelligenz von Loos darin, die Polarität zwischen innen und außen „fortwährend unter Spannung“ zu halten.

Als Loos' Bruder im antinihilistischen Geiste stellt Cacciari Ludwig Mies van der Rohe vor. Eine Überraschung. Denn ist es nicht die berüchtigte „Mies-Kiste“, die überall und nirgendwo zu passen scheint, die „modern-allzumodern“ ihre internationale Präsenz demonstriert, statt einer „Vielfältigkeit der Zeiten und Traditionen“ Rechnung zu tragen? Ja, die Distanz zwischen Objekt und Kontext könnte kaum größer sein als bei jenen Miesschen Entwürfen, die seinen Ruf als einflußreichsten Baumeister des 20. Jahrhunderts begründeten: das Berliner Glashochhaus (1921) etwa, der Barcelona-Pavillon (1929) oder der IIT- Campus in Chicago (1956). Worin liegt also der Widerstand des Architekten?

Im wesentlichen baut Cacciari in seiner Mies-Exegese auf die Arbeit des venezianischen Architekturhistorikers Manfredo Tafuri auf, einem (mittlerweile verstorbenen) Universitätskollegen. Tafuri machte hinter der elementaren Ästhetik des Architekten, „hinter der Reduktion auf nackte Zeichen (...) die Suche nach Werten“ aus: „Gott ist aus der Asche Nietzsches wiederauferstanden, wenngleich er sich im kleinsten Element, im Detail verbirgt.“ Bei Cacciari wird nun aus dem Detail die Leere: Der glasumgrenzte Raum, der zum Beispiel die Berliner Nationalgalerie prägt, sei für das „freie Sich-Offenbaren des Werts geschaffen“ worden. Die architektonische „Sprache des Schweigens“, die „Askese von jeglichem symbolischen Wert (ist) keine einfache nihilistische Bestätigung des Tods der Symbole (...), sondern das wahrhafte Hüten des Sinnbilds im Unsichtbaren“. Die Klarheit architektonischer Fügung – sie zeitige „Verklärung“.

Cacciari ist Ästhetiker, aber kein Stilist. Manche Sentenzen spielen ins Verquaste. Was fängt man nur mit Sätzen an wie: „Der (schlechte) Futurismus der Geschwindigkeit, der Reise, der Masse-in-Bewegung, überläßt das Feld der Verinnerlichung eines Raums, in dem Expansion und Kontraktion sich gleichzeitig ereignen, in dem die äußerste zeitliche Expansion mit der völligen Immobilität in Übereinstimmung gebracht werden kann.“ Auch die häufigen Bindestriche, die vermutlich noch dem dämmrigsten Leser etwaige Etymologien vermitteln wollen, schmälern die Lust am Text.

„Der Schauplatz von Architektur ist plötzlich in uns selbst“, verspricht der Verlag für die Lektüre. Nicht immer ist der Schauplatz zum Schauen bestellt.

Massimo Cacciari: „Großstadt. Baukunst. Nihilismus“. Essays. 120 Seiten, broschiert, Ritter Klagenfurt, 35 DM