Umarme das Chaos!

Keine Lust, als Generation-X-Ikone verramscht zu werden: Beck, der Popstar wider Willen, fährt in seinen Songs viel Zeit spazieren. Das Leben spielt anders, als das Busineß es will – aber sag das mal der Trendindustrie!  ■ Von Frank Sawatzki

Wer zu spät kommt, den belohnt die Schallplattenindustrie. Oder auch das Leben. Da erntete einer globale Bewunderung und einen Nummer-eins-Hit für ein paar bluesy HipHop-Nuggets, deren Verfallsdatum schon außer Diskussion stand. Das war 1994. Der Song hieß „Loser“, und sein Schöpfer, ein gewisser Beck Hansen, war wohl selbst am meisten überrascht, was eine alte Küchenschabe von Lied alles anrichten kann.

Seit „Loser“ ist der 25jährige US-Sänger und Songwriter definitiv Objekt der journalistischen Neugier: Ist Beck etwa „ein jugendlicher Bauchredner, dessen körperliche Hülle von anonymen historischen Gewalten bevölkert wird?“ fragte Spex. Oder gar die „Zukunft des Rock'n'Roll“, wie Rolling Stone erwog? Ohne Frage verkörpert Beck einen gerechten Fall von Schulterschluß über die diversen Szenen – von Fake-Funk bis Noise-Rock –, deren Ankoppelung an sein eigenes Universum der Künstler über die Jahre emsig betrieben hat, ohne je eine Mitgliedskarte einzureichen.

Zum Jugendding emporgejubelt

Wie war das mit dem Zuspätkommen? Der erste relevante time lag in der Geschichte des Beck mißt genau drei Jahre: Zwischen der Aufnahme des Songs „Loser“ in der Küche bei Kumpel Karl, dessen Freundin die „Studiozeiten“ durch ihre Kochaktivitäten bestimmte, und eben seiner Veröffentlichung 1994, die im Dunst des Selbstmords von Kurt Cobain per multimedialer Exegese und mit Hilfe ein paar kruder Wackelvideosequenzen zum epochalen Jugendding hinaufbefördert wurde – Generation X, Coffeehouse-Coolness, no future revisited. Ein epochales Popmißverständnis.

„Der Song ,Loser‘“, sagt Beck, „war mehr ein loser Ausdruck von Gefühlen zum Zeitpunkt der Aufnahme. Eine Reaktion auf die achtziger Jahre, eine Zeit der Gewinner. Jeder, der mich persönlich kennt, sagt, was aus ,Loser‘ und mir gemacht wurde, ist lächerlich. Du kannst den Song nicht aus dem Kontext reißen.“ Sag das mal der Trendindustrie!

Die zweite Verzögerung beträgt immerhin noch ein Jahr. Zwischen der Fertigstellung seiner neuen CD „Odelay“ (sic!) und ihrer Veröffentlichung jetzt. „Für mich ist das eine alte Platte“, sagt Beck. „Ich bin immer hinter mir selbst mit dem, was ich herausbringe.“ Eigentlich ein gutes Versteck, eine Identitätsabsicherung für einen Popstar wider Erwarten? Nein, das nun wieder nicht – Beck serviert pressegerecht Schnittchen für Schnittchen. „Es brauchte einige Zeit zum Erscheinen, Art work und all die kleinen Busineßdinge, weißt du. Ich war viel auf Tour zwischenzeitlich. Lollapalooza und so.“ Und jetzt ist er schon ganz woanders: „Wenn du mit den Aufnahmen fertig bist, lernst du Musik wieder ganz von vorn. Die ganze Aufgabe lautet dann, den Raum zu füllen und einen Ausgang zu bauen, um in den nächsten leeren Raum zu treten.“

Beck, oder wie er die Welt sah

Betreten wir ein paar Kämmerchen im Kasus Beck. Geboren in Los Angeles, aufgewachsen in Kansas und später New York, der Vater ein Straßenmusiker (sagt die eine Bio) und Hollywoodfilmproduzent (sagt die nächste), die Mutter, Bibbe Hansen, Warhol- Schauspielerin, Großvater Al Hansen, der letztes Jahr in Köln starb, ein Fluxuskünstler und bekennender Verfasser von Erpresserbriefen. Al Hansen in einem seiner letzten Interviews: „Ich habe Beck und seinem Bruder immer viel von Leuten wie John Cage und Joseph Beuys erzählt. Sie waren fasziniert.“ Al brachte Klein-Beck bei, was ein Gedicht ist, beschenkte ihn Ende der siebziger Jahre mit einer folgenreichen Heino-LP (Beck soll daraufhin, zu Besuch bei Opa Al in Köln, gesagt haben: „Heino ist mein Gott, Heino ist mein Idol“) und sah in dem rüden Eklektizismus seines Enkels eine Fortschreibung der eigenen Kunst mit anderen Mitteln.

Auch schön und irgendwie Garp-mäßig die Geschichte mit der Krankenschwester, die Beck bei der Geburt den Vornamen verpaßte, weil seine Ma ihr „Beck's“ zurief, freilich weil sie Durst auf ein Bier hatte – das sind genügend Ingredienzen für eine glamouröse Mythenshow, fast zu gut, um nicht erfunden zu sein. Beck war außerdem: homeless, schlief allein unter Brücken; er hatte muffige McJobs in Videotheken, war der singende Troubadour im Überlandbus, der sich nichts sehnlicher als einen Toaster wünscht, wenn die ersten Tantiemen auf dem Konto landen.

Daß er aus all dem kein lyrisches Süppchen gekocht hat, das er über mehrere Alben warmhalten kann – so on the edge of town, in den badlands –, ist allein seiner Coolness zuzuschreiben. Beck weiß, was zählt im Betrieb Pop – er hat eigene Bedingungen zu formulieren. Um so mehr, wenn die mediale Meute trendtrunken aus einem ironischen Tralala einen perversen Hype bastelte, der Folgen hatte: Plötzlich wollten alle richtige „Loser“ und Slacker interviewen. Jugend in Jeansmüll zum Anfassen, geiles Sommerthema. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Popstarkarierre als Betriebsunfall

Der Protagonist im Spiel, er reagierte. Als die Karriere nun mal da war (eine Art Verkehrsunfall, aber eben amtlich), suchte Beck via Irritation, extremer Kleinstaaterei, Mythenblödsinn und bühnenreifen „Loser“-Verfremdungen den Status eines Stars entschieden zu zerstreuen. Raus aus der Schublade und ihren Implikationen – Promo, Professionalität, Parties für die Konvertiten.

Manöver gelungen. Nach der zu „Loser“ gehörenden Major-Label-CD „Mellow Gold“ erschienen über Kleinlabels wie Bongload, K- Records oder Flipside CDs, auf denen Beck seine Texturen von Folk und Blues, von Noise und Dekonstruktion in andere, weit weniger polierte Hüllen goß. Aktualisierungen, mehr Stand-der-Dinge- Produktionen, mit denen er kleine Fluchten inszenierte. Beck spielte mit pinkfarbenem Barbie-Phone auf der Bühne, kackte einen Musiksender lustig an („MTV Makes Me Want To Smoke Some Crack“) und teilte sich in Songs als Alien mit, der ganz lakonisch beschreibt, was er auf der Erde so mag: „Die Vielfalt der Farben, fantastisch, einfach zu mondän“ („Waitin' For A Train“ auf „Stereopathetic Soul Manure“). Höhepunkt der Verwirrspiele: die „Steve Threw Up“- Single mit dem Heino-Cover, das der so vorteilhaft Abgebildete und zu überraschendem Kultstatus gelangte gesamtdeutsche Brillenonkel mit dem Satz kommentierte: „Besser ich als der Peter Alexander.“ MacBeck ist eiiinfach gut.

Das fanden auch die Kids, die den knabenhaften Typen im Thrift-Store-Outfit für seine Hymne „Loser“ liebten, während findige Kritiker in Beck bald den Geburtshelfer für ein Leben nach dem Ausverkauf von Alternative Rock entdeckt hatten. Für ein Musikformat, das sich gerade als feiste, dreiste Wiedergeburt des Mainstream zu erkennen gab. Beck verlieh einer Miniaturbewegung Namen, Gesicht und – wieder einmal – den allegorischen Raum: Lo-Fi oder Homerecording, die eigenen vier Wände als Absage an die nächste Vergesellschaftung. Keine Erfindung der Neunziger, auch keine stilistische Neuerung, aber eine Produktionsästhetik, die Beck mit Kollegen wie Barlow/ Folk Implosion/Sebadoh, Smog oder den Palace Brothers wieder gewinnbringend ins Spiel brachte.

Meisterschaft im Brechen von Stilen

„Odelay“ nun markiert wieder den Sollbereich: Der Sprung in die warmen Gewässer des Eklektizismus und der Trash-Collagen, für die Beck so gerühmt wurde. Mehr Tarantino/Rodriguez als Coupland/ Linklater und ihr Slacker-Theater. Mehr Hongkong-Movie. Das fängt bei ganz unspektakulären Konservenglasnummern an – Kitchen- sink-Blues trifft dieses Dylan- weiß-um-Woody-Guthrie-Crooning –, und geht tief in die Kontraste. Beck hat erhebliche Meisterschaft im Brechen von Stilen und Gewißheiten erreicht, er kann einen Mouth-Harp-Blues in all seiner Schönheit auf den Dancefloor zerren („Hotwax“) oder Sitar, Streicher und prominente Sixties- Harmonien, so Marke Beatles, auf fette Beats türmen („New Pollution“), ohne all die widerborstigen Stoppel zu epilieren und im beliebigen Crossover-Quark zu enden. Abschließend alles gut mit der Hand vernäht. Beck-Songs funktionieren als Mausklick-News mit verschiedenen Windows in die einzelnen Schichten, freigegeben zur individuellen Expedition. Man kann die Fenster öffnen, man kann es aber auch sein lassen.

Beck ist ein erklärter Songwriter, was er in die Hände nimmt, funktioniert auch auf der Ebene Melodie oder Harmonie, kann auch eine catchy Country-Pop- Nummer wie „Lord Only Knows“ sein. Der Reichtum an Historizismen und Verweisen macht seine Stücke zu den Popexperimenten im Fluß, die dieses Anything-goes

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Gefühl evozieren. Haben die Experimente Methode? Beck: „Das ist wie im Leben. Du weißt nicht, was als nächstes passiert, reflektierst genau das und verbindest es mit Musik. Die Absurditäten des Lebens, das Zufallsprinzip.“

Samples im Dutzend billiger

Dabei greift Beck – Ausnahmen wie das Sample aus dem Them- Klassiker „It's All Over Now, Baby Blue“ auf „Jack-ass“ bestätigen die Regel – auf No-name-Produkte im Pop-Supermarkt zurück, ganz unten im Regal, weiß man, da ist's am billigsten. „Ich nehme Samples von Stücken, die den Stil der Zeit imitieren, nutze einfach Wegwerfmusik, nichts, das sich schon viele Meriten verdient hat.“ Bringt weniger Ärger und ein paar Gummipunkte in den involvierten Kultgemeinden, die wieder „Samples-Raten“ spielen können.

Beck setzt Zeit nicht als geschmäcklerischen Fixstern im Popall, der hell leuchtet und von den Wundertaten seiner Bewohner kündet, er fährt Zeit spazieren in seinen Songs, hat all diese Inputs aus den diversen Dekaden auf Lager (Folk, Blues, Sixties, Jazz, Techno-Fiepen) und kippt sie bei Bedarf wie Öl in die lodernden Flammen. Mit dem Ergebnis, daß Stoffe in andere Aggregatzustände übergehen, fließen, ankokeln und Rußwolken aussenden. Und in dem ganzen Wust gelingt ihm dann noch der eine oder andere große Wurf: „Where It's At“, die jazzy HipHop-Single und der Rock- über-Donner mit den Space-Signalen, „Devil's Haircut“.

„Heads are hanging from the garbage man trees / mouth-wash jukebox gasolene / pistols are falling from a poor man's pocket ... / I've got a devil's haircut in my mind.“ Wenn Beck überhaupt eine Maxime hat, dann lautet sie: Umarme das Chaos! Definitiv sein Lieblingssatz im Interview und ein Schlüssel zu vielen Texten, deren surrealer Tonfall und Metaphernreichtum unvermeidlich Fährten in Richtung Dylan auslegen. Aber Becks (vergleichweise trashigen) Assoziationsketten geht es nur marginal um das Was, vielmehr um das Wie – sound rules okay. Und im Gegensatz zu seiner Ikone Woody Guthrie (Beck: „Super selbstgemachter Punkrock“) bedient sich Beck bei allem Erlebten einer Secondhandästhetik, die sich recht kryptisch aufbaut und nur ein paar Eckpfeiler braucht: pessimistisch, protogrün, hippieske Neoromantik (US-Edit). Nachzulesen im Song „New Pollution“ auf „Odelay“.

Bei den Aufnahmen zur neuen CD mußte nun keine Freundesfreundin mehr Essen machen. „Ich arbeitete 18 Stunden am Stück im Studio, richtig straight. Ich hatte all die Farben, konnte das Ganze noch einmal schwarz ausmalen, wenn es mir nicht paßte, oder die Leinwand runterreißen. Das war richtige Arbeit mit der Musik, gab ihr mehr Substanz, eine andere Konsistenz.“ Soweit die Großproduktion. Updates auf Bongload et al. werden folgen. Wer jetzt zu spät kommt, ist ein „Loser Baby“. Selber schuld.