Mythos als Dauerlutscher

■ Ballett-Tage gingen mit einem großen Kitschabend zu Ende

Was!? Rostet die Welt? Kein Stück! John Neumeyer ölt doch jede Spielzeit kräftig nach mit seinem Herzfett. Da rostet nichts. Von Mythos bis Micky Mouse ein Sprung wie ein geölter Blitz. Schnittchenweise bekam das Hamburger Ballettpublikum am Sonntagabend den leicht verdaulichen Klumpen Menschheitsgeschichte auf der Abschluß-Gala der 22. Hamburger Ballett-Tage serviert: Mythos und Metamorphosen.

Im Mythos liegt eine allgemeine psychologische Wahrheit und der Tanz zeigt sie uns, erklärte Neumeyer eingangs die folgende Themenwahl des ersten Teils. Artus, Tristan und Undine folgten in seiner eigenen Choreographie. Wenn nicht Neumeyer fest daran glauben würde, daß sich zwischen den alten Göttersagen und dem Märchen-Film von Walt Disney nichts in der Welt geändert hat, außer der Erfindung der Sprechblasen, die er ja zum Glück nicht braucht, könnte das alles recht spannend sein. Aber seine Isolde oder Königin Ginevra bewegen sich alle wie Pocahontas, die Könige und Ritter sind stark und schön und sprungkräftig wie der König der Tiere.

Die Grundfarben geben weitere Verständnishilfe. Rot ist die Liebe, das trägt die Frau, weiß ist die Unschuld, das trägt das Mädchen und silbern ist die Versuchung, das trägt Lanzelot. Glaubte man bis zur Pause, einen Kurs in „Leidenschaft leicht gemacht“ zu bekommen, wurde es hernach ganz persönlich. Mit Fratres erfüllte sich Neumeyer einen Traum. Das Stück, das seinen Eltern gewidmet ist, beweist noch einmal, was wir schon ahnten: Für John Neumeyer sind tausend Jahre wie ein Tag. Seine Mutter ist die Aphrodite der Neuzeit, die liebende, leidende Frau, von ihren Söhnen kraftvoll getragen und erhoben. Sie werden sie auch später mannhaft verlassen, um in die Welt auszuschreiten – alle! Aber sie kehren doch zu ihr zurück, spätestens um sie ins Grab zu wiegen.

Aber stören wir Herrn Neumeyer nicht weiter in seiner Märchenwelt aus Männern, Macht und Müttern. Decken wir schützend das Schwanengefieder über diesen großen Abend des Kitsches. Und über das Publikum, dem das so sehr gefiel.

Erwähnt seien noch die Tänzer und Tänzerinnen, die in makelloser Schönheit das Pop-Art-Bühnenbild vollendeten. Die Verwandlung des Mythos zum Dauerlutscher. Applaus. Elsa Freese