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■ Chaos in Hamburgs Einwohnerämtern: Über 2000 Menschen vom Computer „inaktiviert“: Keine Wohnung, kein Paß, kein Kindergeld Von Vera Stadie

Sie wohnen in Hamburg? Und sind hier auch gemeldet? Seien Sie sich da nicht so sicher. Auch Maria S. war davon überzeugt, sie und ihre Tochter würden zu den legalen Bewohnern der Hansestadt zählen, wo sie doch nun schon seit über zehn Jahren nicht umgezogen sind. Bis in der vergangenen Woche ein Brief von der Familienkasse des Arbeitsamtes kam. Der Datenabgleich mit der Meldebehörde habe ergeben, entnahm ihm die Mutter, daß sie unter einer anderen Anschrift wohnhaft sei als ihr Kind. Deshalb bekommt Frau S. nun erstmal kein Kindergeld mehr und muß eine Bescheinigung der Meldebehörde vorlegen, wer zu ihrem Haushalt gehört.

Als sie sich gestern morgen im Bezirksamt Eimsbüttel diese amtliche Bestätigung ihrer Existenz besorgen wollte, teilte ein Beamter der erstaunten Bürgerin mit, sie sei ja gar nicht in Hamburg gemeldet. Ihre zehnjährige Tochter, so wisse der Computer, wohne allein. Eine weitere Hamburgerin, Wiebke M., erfuhr gestern auf dem Bezirksamt, daß ihr frisch Angetrauter, mit dem sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen ist, unter einer anderen Adresse wohnhaft und zudem ledig sei.

Solche Tragödien spielen sich in diesen Tagen in vielen Hamburger Familien ab. Rund 2500 BürgerInnen haben die Computer der Einwohnermeldeämter abgemeldet. „Das ist ein relevantes Problem für die ganze Stadt“, bestätigte Jürgen Stoeckler, beim Amt für Bezirksangelegenheiten zuständig für die Datenverarbeitung, gestern gegenüber der taz. Der Grund für die amtliche Anarchie: Nach Pfingsten ist in Hamburg ein neues Einwohnermeldeverfahren eingeführt worden. Für jede/n HamburgerIn soll es nur noch einen Datensatz geben. Wenn früher jemand aus der Stadt wegzog und sich später wieder in Hamburg anmeldete oder innerhalb der Stadt die Wohnung wechselte, gab es für sie oder ihn im Computer des Meldeamtes jedoch zwei Datensätze. Hunderte von BürgerInnen der Stadt hatten also virtuelle Doppelgänger. Genau diejenigen sind die Problemfälle, die die Beamten zur Zeit in Überstunden und Nachtschichten sortieren müssen. „Da sind wir noch nicht ganz durch“, berichtet Stoeckler.

Denn kein Computer könne herausfinden, ob es sich bei zwei Leuten desselben Namens und mit demselben Geburtsdatum wirklich um zwei oder um ein- und dieselbe Person handelt: „Das muß von Hand gemacht werden.“ Im Zweifelsfall macht der Rechner die Personen im Datenbestand „inaktiv“, so als seien sie weggezogen, abgemeldet oder gestorben. Solche „Karteileichen“ bekommen natürlich auch keinen Paß, keine Steuerrückzahlung und, wie Maria S., erst recht kein Kindergeld.

Die Umstellungsprobleme werden, schätzt Stoeckler, noch mindestens zwei Wochen dauern. Bis dahin dürfte es auf den Meldeämtern noch zu dramatischen Szenen kommen, zum Beispiel wenn die geplante Urlaubreise daran zu scheitern droht, daß einem nicht existierenden Hamburger eben kein Reisepaß verlängert werden kann.

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