Sokrates auf dem Markt

■ Bremer Philosophie-StudentInnen beklagen öffentlich ihren Professoren-Mangel

Montagmorgen um halb elf auf dem Bremer Marktplatz: Zwischen Schulklassen und umherirrenden TouristInnen schreiten Sokrates und Diogenes in eine weiße Toga gehüllt umher und rezitieren aus dicken, klugen Büchern. Plötzlich erschallt der Ruf: „Die Philosophen sollen abgeschafft werden!“ Passanten bleiben erstaunt stehen. Die weißbekleideten Menschen wenden sich aufgeregt der Bürgerschaft zu. Kann von dort Hilfe kommen?

Mit dieser Aktion wollten die StudentInnen der Philosophie an der Bremer Universität auf ihre Situation aufmerksam machen. Nachdem ein Professor einem Ruf nach Bayreuth folgte und nun einem weiteren Professor eine höher dotierte Stelle in Paderborn angeboten wurde, bliebe nur noch ein einziger Professor der Philosophie übrig – für 600 StudentInnen. „Damit ist eine umfassende und zügige Ausbildung in Bremen nicht mehr möglich“, heißt es in einer Erklärung der StudentInnen.

Sie werfen der Wissenschaftsbe-hörde vor, statt der 1987 versprochenen vier Professuren nur drei besetzt zu haben und nun die Neubesetzung der Stelle für Praktische Philosophie zu blockieren, um die Zusammenlegung mit dem vierten Fach, der „Philosophie der Antike“, zu erzwingen. Die Philosophie-StudentInnen fordern außerdem die Aufwertung der akut bedrohten Professur der Naturphilosophie. Solange diese Stelle nicht entsprechend dotiert sei, könne Bremen in der Konkurrenz mit anderen Universitäten nicht mithalten. Fähige Professoren würden sofort wieder auf höher dotierte Stellen abgeworben. „Alles in allem führen die derzeit drohenden Entwicklungen zwangsläufig zu längeren Studienzeiten“, heißt es in der Erklärung – eine Folge, die weder im Interesse der Studierenden noch der Gesellschaft sei. Wissenschaftssenatorin Bringfriede Kahrs mochte sich gestern nicht zu den Vorwürfen äußern, ihre Behörde will sich heute mit der Uni und VertreterInnen des Philosophie-Fachbereichs zusammensetzen.

Daß Philosophie etwas mit unserer Welt zu tun hat, sollte gestern mitten auf dem Marktplatz eine Diskussion über Fleischgenuß als „Philosophie des Wahns“ beweisen. Damit sollte dem üblichen Vorurteil entgegengetreten werden, daß PhilosophInnen nur im Elfenbeinturm vor sich hin philosophieren. „Erst hatte ich Angst, daß die Themen für die Leute zu abgefahren sind“, berichtete Sven Schütt, einer der Herren in Toga, „aber es war ein voller Erfolg. Da haben Leute, die ich noch nie gesehen hatte, mitgeredet, als seien sie PhilosophInnen.“ Das Konzept kam offenbar an. Tobias Grunau, Philosophie-Student im 2. Semester: „Einige haben mich sogar gefragt, ob wir solche Gespräche nicht regelmäßig auf dem Marktplatz abhalten wollen.“ Vielleicht ist das die neue – alte Form des Philosophie-Studiums: Wie einst Sokrates auf dem Marktplatz wandeln und die Umwelt zum Staunen bringen.

Birgit Köhler