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Angst vor Dr. Fu Man Chu

Sechs Sinologen suchen eine Ente: In München wurde zum Ende der China-Reihe über die stets schwankende Asien-Rezeption diskutiert  ■ Von Thomas Pampuch

„Pekingente und Fahrräder – Sinologen über unsere China-Klischees“ hieß das Thema der letzten Diskussion, die als Restprogramm des geplatzten China-Kulturfestivals übriggeblieben waren. Damit gab es am Sonntag gewissermaßen den akademischen Nachschlag zu den vielen bundesweit geführten China-Debatten der letzten Wochen. Daß diese Reihe, in der auch chinesische Dissidenten auftraten, der Grund war, daß Peking das Kulturfestival absagte, hat ohne Zweifel den Charakter aller drei Veranstaltungen in der Münchner Muffathalle mitgeprägt.

Auch dieses Mal bemühten sich die versammelten deutschen ExpertInnen sehr ernsthaft, mit Analysen und vorsichtigen Erläuterungen eine Art Gerechtigkeit für China – wenn auch nicht unbedingt für seine aktuelle Regierung – walten zu lassen. Daß dabei das Temperament ein wenig auf der Strecke blieb, war angesichts der Aufgeregtheit der letzten Wochen zu verschmerzen. Daß allerdings diesmal überhaupt kein chinesischer Dissident mehr dabei war, gab der Veranstaltung doch sehr den Ruch eines brav um Schadensbegrenzung ringenden Sinologenkränzchens.

Zunächst versuchte der Autor und Sinologe Tilmann Spengler, die deutsche China-Rezeption von Hegel über Marx bis Max Weber als eine durchaus historische Kette bestimmter Klischees zu interpretieren, die in dem „Vorurteil vom unwandelbaren China“ gegipfelt hätten. So verschieden die Ansätze auch gewesen seien, immer hätten sie zu der Einschätzung geführt, China habe keine aus sich herauskommende Entwicklung und sei deshalb auch nicht empfänglich für rationales Denken. Auch nach 1949 sei China dieser klassischen Projektion und Erwartungshaltung ausgesetzt gewesen.

Der Münchner Sinologe Wolfgang Bauer wies darauf hin, daß Klischees, zumal negative, ja zuvörderst der Selbstvergewisserung dienten. Historisch gesehen aber habe es China gegenüber auch viele widersprüchliche Klischees gegeben, das heißt manche Dinge seien mal negativ und mal positiv bewertet worden: hier Vergeistigung, dort Degeneriertheit, hier Romantik, dort Gegenwartsferne, hier Raffinesse dort Perversion, und schließlich Höflichkeit auf der einen und Verschlagenheit („Dr. Fu Man Chu“) auf der anderen Seite.

Galt China zu Marco Polos Zeiten als Land der Größe, so sei es im 16. bis 18. Jahrhundert das Land der Weisheit gewesen. Erst im 19. Jahrhundert habe sich das negative Bild des „häßlichen und hinterhältigen Chinas“ bis hin zum Klischee der „gelben Gefahr“ durchgesetzt. Aber auch im 20. Jahrhundert changierte das Bild ständig: Vom Klischee der „Geistigkeit“ zwischen 1910 und 1950 zum Bild der Vermassung, der „blauen Ameisen“ von 1965 bis 1968, und dann zur Idealisierung zwischen 1968 bis 1976. Bis 1989 sei dieses positive Bild eines „sich selbst befreienden Landes“ geblieben, und seither gebe es eben wieder Skepsis.

Susanne Weigelin-Schwiedrzik aus Heidelberg beklagte, daß China gerade von Deutschland immer eine „gewisse Primusfunktion“ zugeordnet worden sei. „China ist entweder das Negativste, was wir uns überhaupt vorstellen können, oder das Positivste.“ Das deutsche Chinabild schwanke zwischen Angst und Hochachtung. In der Zeit von 1978 bis 1989 habe die China-Euphorie „systematisch die Probleme verdrängt“. Heute verdränge man dagegen die vielen Chancen, die sich in China auftun.

Vom Ost-West-Kolleg bestätigte Christoph Müller-Hofstede, daß China die ideale „Projektionsfläche für europäische Wünsche“ sei mit jener „charakteristischen Melange aus Sinophilie von Voltaire bis Sartre und Sinophobie von Napoleon bis Kissinger.“ Schon Mao habe China mit einem weißen Blatt verglichen, auf das sich die schönsten Schriftzeichen malen ließen. Ein gutes Beispiel für diese Projektion sei die Zeit, als sich eine ganze Generation – „und Angehörige dieser Generation sitzen sowohl auf dem Podium als auch im Publikum“ – China zur Utopie erkor. Nicht nur Linksextreme, sondern auch bürgerlich-liberale Persönlichkeiten hätten während der Kulturrevolution plötzlich die Sehnsucht nach dem neuen Menschen in sich entdeckt. Und auch viele Sinologen hätten an diesem „gigantischen Selbstbetrug“ mitgewirkt. Selbst ein CDU-Abgeordneter habe damals von einer „nahezu vollständigen Übereinstimmung von Herrschern und Beherrschern“ gesprochen.

Erst mit dem Massaker von 1989 sei dieser Jubel abgeklungen. Da erhebe sich die Frage, ob die westliche Öffentlichkeit nun das nachhole, was sie in den siebziger Jahren versäumt habe und sich dabei einfach neue Zerrbilder verfestigten, die im Sinne der selbstproklamierten Ziele nur kontraproduktiv sein könnten. Wer die KP- Herrschaft als unwandelbares, totalitäre Regime, als „Jurassic Park der Diktaturen“ charakterisiere, übersehe den langsamen, aber sicheren Wandel, der sich China vollziehe. Es stehe keine demokratische Opposition zur Machtübernahme bereit. „Die Angst vor dem Chaos scheint mächtiger denn je.“ Nur langfristiges Engagement könne da helfen.

Tienchi Martin-Liao, die einzige Chinesin auf dem Podium (sie lebt seit langem in Deutschand), schockte MitdiskutantInnen und Publikum zunächst mit einem Bericht über Kannibalismus während der Kulturrevolution. Dann aber wandte sie sich gegen die von Susanne Weigelin vorgetragene Vermutung, die Demokratiebewegung sei aus Schuldgefühlen heraus vom Westen hochstilisiert worden. Die jungen Menschen in China wüßten durchaus, was Demokratie und Menschenrechte seien.

Ob eine wirkliche Alternative zur KP-Herrschaft in China bestehe, mochte Moderator Oskar Weggel aus Hamburg bezweifeln: „Die Alternative in China heißt nicht KP oder eine andere Partei, sondern eine reformierte KP oder eine nichtreformierte KP.“ Besuche im „Jurassic Park“ sind weiterhin nötig. Auch wenn Kinkel gerade der Eintritt verweigert wurde.

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