„Wir haben nicht jedem alles gesagt“

Im Prozeß gegen Monika Haas sagt einer der beiden HauptbelastungszeugInnen aus, ein Stasi-Offizier. Bewiesen ist danach vor allem, daß Stasi-Akten nur sehr begrenzt der Wahrheitsfindung dienen können  ■ Von Heide Platen

Im Strafprozeß müssen nicht Angeklagte ihre Unschuld beweisen, sondern ihnen muß Schuld nachgewiesen werden. Und das Gericht muß diese auch als solche erkennen können. Im Verfahren gegen die 48jährige Monika Haas vor der 5. Strafkammer, dem Staatsschutzsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts, scheint die Beweislast umgekehrt.

Haas ist angeklagt, im Herbst 1977, im „deutschen Herbst“, als Mitglied der RAF die Waffen für die Entführung der Passagiermaschine „Landshut“ nach Mogadischu geliefert zu haben. Sie soll sie in einem Hotel auf Mallorca an das palästinensische Entführerkommando „Matyr Halimeh“ übergeben haben. Der Prozeß gegen Haas hat Anfang des Jahres begonnen, mußte wegen Krankheit der Angeklagten abgebrochen und im Mai neu begonnen werden. Haas bestritt den Vorwurf von Anfang an vehement: „Ich war nie auf Mallorca.“ Auch Mitglied der RAF sei sie nie gewesen.

Die Bundesanwaltschaft stützt sich vor allem auf Akten der Stasi. Die Aussage des Zeugen Werner Orzschig ist deshalb die eine Säule der Anklage. Die andere ist die Aussage von Souhaila Andrawes, die derzeit in Hamburg vor Gericht steht.

Orzschig arbeitete als Führungsoffizier für die Abteilung XXII/8 des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, zuständig für Terrorismusbekämpfung. Stasi-Mann, zuletzt im Rang eines Majors, wurde er 1976 aus Überzeugung: „Ich wollte meine sozialistische Heimat schützen.“ 1980 legte Orzschig die Haas-Akte an. Ausgangspunkt des Verdachts gegen die Frau war, sagt er, eine Meldung aus der Bild-Zeitung vom Oktober 1977. Das Blatt hatte ein Foto von Monika Haas veröffentlicht und sie — aufgrund welcher Quelle auch immer — einen Tag vor Beendigung der Entführung durch den Sturm eines GSG 9-Kommandos auf dem Flughafen Mogadischu verdächtigt, zusammen mit den RAF-Mitgliedern Ingrid Siepmann und Stefan Wischniewski eine der TäterInnen zu sein. Die GSG 9 erschoß drei der vier palästinensischen Entführer, zwei Männer und eine Frau. Einzige Überlebende war Souhaila Andrawes.

Auf Haas aufmerksam geworden sei er erst, sagt Orzschig, als sie sich 1980 von ihrem Mann getrennt hatte und mit ihren drei Kindern aus dem Jemen in die Bundesrepublik zurückkehrte. Gemeldet hatte ihm das der bulgarische Geheimdienst: „Da schrillten bei uns die Alarmglocken.“ Im Jemen hatte Monika Haas den PFLP-Führer Zaki Halou geheiratet. Schon 1976 war sie in den Verdacht geraten, Agentin gleich mehrerer westlichen Dienste zu sein und gegen die mit der DDR befreundete Volksrepublik und gegen die von der DDR unterstützte PLO zu agieren, von der sich die PFLP abgespalten hatte. Die Akte aus dieser Zeit enthält eine Sammlung von Informationen, Klatsch und Gerüchten über Monika Haas und ihren Ehemann, über DDR-kritische Äußerungen und Verdächtigungen, an deren Ursprung sich Orzschig nicht mehr erinnern kann oder will.

Er jedenfalls zog seine Schlußfolgerungen aus der Bild-Meldung: Wenn Haas einerseits beim Klassenfeind als Beteiligte an der „Landshut“-Entführung gesucht wurde, wie konnte sie dann andererseits samt Familie unbehelligt wieder in Deutschland leben? Das bringt ihn heute noch in Rage. Orzschig führte insgesamt, erinnert er sich, 25 bis 30 Inoffizielle Mitarbeiter (IM). Einer seiner „besten“ war Werner Hoppe, der Exfreund von Monika Haas. Der haftentlassene RAF-Gefangene lieferte fortan Berichte über Haas, den ersten laut „OV Wolf“ im Dezember 1980. Da, wehrte sich Haas in Umkehrung der Beweislast, habe Hoppe sie noch kein einziges Mal gesehen. Er sei bei ihr erstmals im Frühjahr 1981 aufgetaucht. Hoppe hatte aber schon vorher behauptet, Haas habe ihm die Waffenlieferung auf Mallorca gestanden.

1986 ist der Aktendeckel zur „politisch operativen Bearbeitung“ der Monika Haas, dem „OV Wolf“ geschlossen worden, ohne ein Ergebnis zu zeitigen. Warum, fragt angelegentlich der Beisitzende Richter Zeyer, die Akte denn „OV Wolf“ geheißen habe? Daran erinnert sich Orzschig ganz genau: Eine russische Zeichentrickserie habe den Namen „Der Hase und der Wolf“ gehabt. Wer denn meist gewonnen habe, fragt Verteidiger Armin Golzem rasch. Orzschig: „Der Hase.“ – Golzem: „Und wer war der Wolf?“ – Orzschig: „Ich.“

Der Vorsitzende Richter Schieferstein sieht der Pensionierung entgegen. Seine Konzentration läßt manchmal stark nach. Die Angeklagte aber, seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft, drängt auf Eile. In seiner Freizeit züchtet Schieferstein Bienen, er ist auch Präsident des Deutschen Imkerbundes. Dies sei, hat er der Süddeutschen Zeitung gesagt, seine „Pensionsistenpassion“. Aggressive Bienen sind ihm und den Mitgliedern seines Verbandes ein Greuel: „Sanftmut ist unser imkerliches Streben. Aggressive Bienen können wir in Deutschland nicht gebrauchen.“ Dr. Schieferstein ist auch Hobbyhistoriker und studiert daheim Stasi-Akten. Er bewundert deren preußische Akribie und ist fasziniert davon, einmal Einblick in das Innere eines Geheimdienstes zu erhalten. Diese Kombination, so Haas, „hat mir Angst gemacht“: „Ich will doch nicht hoffen, daß Sie mich mit einer aggressiven Biene verwechseln.“

Erich Schieferstein, scheint es, fragt als Richter und lernt als Historiker. Er entrüstet sich Orzschig gegenüber, daß der RAF-Mann Hoppe sich in der DDR frei bewegen, herumreisen konnte, ohne daß seine Identität überprüft worden sei. Da hätte ja „jeder kommen“ und „die DDR unterwandern“ können. Wo bleibe da die preußische Akribie? Und was es mit den im „OV Wolf“ fehlenden Anschreiben an eine andere Dienststelle auf sich habe? Anschreiben, sagt Orzschig, seien nie abgeheftet worden, weil das die Akte zu sehr „aufgebläht“ hätte. Schieferstein: „Aber das ist doch ein Verstoß gegen die preußische Aktenordnung.“

Der Prozeß gegen Monika Haas wird zum deutsch-deutschen Lehrstück. Orzschig, derzeit arbeitslos, findet sich unversehens in einer Doppelrolle wieder: Einerseits wird er von oben herab belehrt, wird sein Dienst in der DDR als verwerflich angesehen, andererseits ist er als Zeuge der Anklage unverzichtbar. Orzschig reklamiert in biederer Rechtschaffenheit für sich, den Terrorismus, sozusagen im posthumen Schulterschluß und als östliches Pendant der westdeutschen Terrorismusfahnder, ebenso bekämpft zu haben wie die Bundesrepublik. Er habe, betont er, „nur seine Arbeit getan“.

Orzschigs Terminologie ist insgesamt eher dürftig: Ein „Vorgang“ sei eben ein „Vorgang“. Der Zeuge ist nicht willens oder in der Lage zu differenzieren. Er habe Informationen politisch operativ bearbeitet, das sei eine „ganz normale Bearbeitung“ gewesen. Verteidiger Golzem: „Aber Sie haben doch Menschen bearbeitet!“ – Orzschig: „Das ist doch dasselbe.“

Als Zeuge laviert der ehemalige Stasi- Mann zwischen Erinnerungslücken und bauernschlauem Verschweigen. Nur einmal während zweier Verhandlungstage trägt er zur Begriffsklärung bei, als er gefragt wird, was „eine differenzierte Information“ sei: „Wir haben nicht jedem alles gesagt.“ Daß Stasi-Akten als Beweismittel im Strafprozeß grundsätzlich problematisch sind, weil „Aufgabenstellung und Arbeitsweise des MfS den Erfordernissen rechtsstaatlicher Sachverhaltsaufklärung in keiner Weise entsprochen haben“, hatte der Bundesgerichtshof im Fall Haas schon 1992 entschieden.

Den IM Hoppe hat Orzschig persönlich als kameradschaftlich in Erinnerung. Die Gespräche seien durchweg „freundschaftlich“ gewesen, man habe „ganz normal“ Schnaps zusammen getrunken. Er habe von der Drogensucht Hoppes gewußt, zweifelte deshalb aber nicht an dessen Glaubwürdigkeit. Politisch hielt er Hoppe allerdings für einen „pseudorevolutionären Abenteurer“ und die RAF für eine „Gefahr für die DDR“. Der Schriftsteller Christian Geißler indes, der Hoppe nach der Haftentlassung betreute, beschrieb den Stasi-Informanten als „geschwätzig, geltungssüchtig“ und sogar „rücksichtslos“. Aus Orzschigs Sicht dagegen erscheint Hoppe nun als Gewährsmann und neutraler Zeuge, der keine Eigeninteressen gehabt habe — außer vielleicht nachzuweisen, daß Haas eine Verräterin sei. Daß Hoppe von der Stasi über die Reisekosten hinaus gut bezahlt wurde, erinnert Orzschig folgerichtig nicht: „Wir mußten sparsam sein.“ Die Verteidigung von Haas hält dem entgegen, daß Hoppe 27.000 Ost- und 23.000 West-Mark kassiert habe. Orzschig hat die Akte über seinen IM Hoppe, den er auch mal als Agenten bezeichnet — „IM und Agent, daß ist doch dasselbe“ — schließlich eigenhändig vernichtet.

Für Mitte Juli hat das Gericht die Palästinenserin Souhaila Andrawes geladen. Nach wochenlangen Verhören hatte Andrawes Monika Haas belastet und gesagt, sie habe Haas in Mallorca gesehen und wisse, wie sie die Waffen überbracht habe. Dafür wurde ihr die Kronzeugenregelung angeboten. Andrawes war in Norwegen vor ihrer Auslieferung nach Deutschland von den bundesdeutschen VernehmungsbeamtInnen immer wieder mit dem Ost-Dossier über die „Verräterin“ Haas konfrontiert worden. Mittlerweile hat sie ihre Aussage zurückgezogen und schriftlich erklärt, sie wolle sie vor Gericht nicht wiederholen.

Nächster Termin im Haas-Prozeß: Donnerstag, 27. 6. 96, 13 Uhr. Die Verhandlungen finden dienstags und donnerstags statt. Souhaila Andrawes wird voraussichtlich ab dem 18. Juli vernommen.