Bürgerkrieg als Fernsehkulisse

■ Das ZDF verklappt Lehrer Specht auf hoher See: Robert Atzorn erhält zur Weihnachtszeit sein Schiffahrtspatent, um fortan als Kapitän Harmsen "auf allen Weltmeeren" Detektivarbeit zu leisten

Lehrer Dr. Specht wechselt den Job und fährt zur See. Zur Zeit steht Robert Atzorn in Hamburg als Kapitän Harmsen in der Hauptrolle vor der Kamera. Seitdem trägt er wahrscheinlich einen Zettel in der Tasche, auf dem steht: links Backbord, rechts Steuerbord. Alter Seemanswitz.

Realisiert wird der TV-Mehrteiler für das ZDF-Abendprogramm von der Fernsehproduktion novafilm in Berlin. Stapellauf soll zur Jahreswende 96/97 sein. Was die ZuschauerInnen dann, verpackt in fünf kurz aufeinander folgenden Episoden à 90 Minuten (Arbeitstitel: Der Kapitän) zur besten Sendezeit erwartet, ist eine Art Labskaus aus MS Franziska und Traumschiff. Von allem ein bißchen, aber die genaue Konsistenz bleibt im dunkeln.

Kapitän Harmsen erlebt zusammen mit Chefingenieur Fritz Kaiser (Jophie Ries), „seinem besten Freund auf allen Weltmeeren“, wie es im Pressetext algig heißt, allerlei Spannung Vortäuschendes. Dabei wechseln Orte und Schiffe schlagartig wie das Wetter. Jede Folge ein neuer Kahn – irgendwo zwischen Afrika und Petersburg. Originalgetreu fahren die Handelsschiffe unter Billigflagge; selbst die rund 20köpfige Besatzung spricht polnisch oder kroatisch.

Die auf hochbrisant getrimmte Themenpalette (Autor: Christian Frei) liest sich wie ein Querschnitt aus den Spiegel-Geschichten der letzten Jahre. „Immer am Rande der Kriminalität“ enttarnen Umweltschützer illegalen Giftmüll auf dem Weg nach Rußland. „Asiatische Mädchen“ werden von Zuhältern freigekauft. Obendrauf gibt's noch einen explosiven Versicherungsbetrug auf hoher See. Arg fischig riechende Sujets, die schon massenweise in Tatort und Derrick eingedost wurden.

Neu hingegen dürfte der Ausflug ins global-politische sein. Eine Folge widmet sich brandaktuell den „Auswirkungen des Bürgerkrieges in einem afrikanischen Land“.

Für diese Story jettete die Filmcrew Mitte April nach Dakar in den Senegal, der zu diesem Zeitpunkt Zufluchtsort vieler Flüchtlinge vor dem brutalen Bandenkrieg im Nachbarstaat Liberia war. Ein Umstand, den Produzent Otto Meissner nicht ohne einen Unterton der Zufriedenheit über die Nähe zur Aktualität erwähnt. Spannend ist in diesem Zusammenhang wohl eher die Frage, inwieweit sich ein derartiges Gemetzel als Hintergrundkulisse im Unterhaltungsfernsehen eignet.

Weniger packend, aber auch weniger zweifelhaft ist der momentane Drehort im typisch hanseatischen Ambiente. Als Location muß ein Büro im Kreuzfahrtcenter am neuen Anleger der Englandfähre herhalten. Hier schweift der Kamerablick vom Holztisch mit Goldapplikationen über nietenbesetzte Ledersessel durch viel Glas auf viel Wasser und die Container am Hafenterminal Tollerort. Kein Überraschungshit – ist doch diese Einstellung inzwischen fast allen Zuschauern von Bremen bis nach Berchtesgaden bis zum Abwinken bekannt.

Die neue ZDF-Sendereihe verspricht nicht nur Konflikte in Krisenregionen, sondern auch Probleme in privaten Situationen. Auf einer Seefahrt verliert der toughe Kapitän Harmsen unter dramatischen Umständen seinen Sohn. Diese Tragödie stellt Ehe und Männerfreundschaft auf eine harte Probe. Laut Presse-Info jedoch kein Grund zur Besorgnis, steht doch am Ende der TV-Staffel „die Hoffnung auf einen familiären Neubeginn...“ Ragna Reissert