Gerangel um Ministersessel

■ Das neue tschechische Parlament ist zusammengetreten. Die Regierungskoalition steht, aber die Minister noch nicht

Prag (taz) – Drei Wochen nach den Wahlen in Tschechien trat gestern nachmittag das neue Parlament zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammen. Eigentlich war alles klar in Prag. Die bisherige liberal-konservative Koalition von Premier Václav Klaus, die bei den Wahlen die Parlamentsmehrheit knapp verfehlt hat, ist auf die Duldung ihrer Minderheitsregierung durch die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, angewiesen. Doch dieser Umstand stellt bei den sich seit Anfang Juni hinziehenden Verhandlungen kein Problem dar. Von der sozialdemokratischen Unterstützung im Parlament wird in Prag stillschweigend ausgegangen.

Auch das Regierungsprogramm scheint kein Kopfzerbrechen mehr zu bereiten. Ende letzter Woche einigten sich die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien auf eine äußerst vage und unverbindlich formulierte Version. Bleibt nur noch ein Problem zu lösen: Wie werden die Ministerposten zwischen den Koalitionspartnern verteilt?

Die beiden kleineren Koalitionsparteien, die Christlich-Demokratische Volksunion (KDU- CSL) und die Demokratische Bürgerallianz (ODA) lehnten es bislang strikt ab, daß ihr großer und übermächtiger Partner, die Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Premier Václav Klaus, erneut eine Mehrheit in der Regierung erhalten könnte. Zu schlecht waren die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre, in denen die dominierende ODS Regierungsentscheidungen blockieren konnte. Die beiden Juniorpartner fordern deshalb eine gleichmäßige Verteilung der Ministerposten: acht für die ODS und acht für uns. Daß die ODS im Parlament über doppelt so viele Sitze verfügt wie die beiden kleinen zusammen, interessierte die frustrierte ODA und KDU-CSL keineswegs.

Ja, die Erfahrungen spielen eine Rolle, gab der Vorsitzende der KDU-CSL, Josef Lux, während der Verhandlungen zu. Deshalb sucht man nun an der Moldau nach einer Lösung, wie eine Wiederholung der für die beiden Juniorpartner unbefriedigenden Situation vermieden werden kann. Doch das Mißtrauen ist groß, und so konnten sich die Beteiligten bisher weder auf ein Indianerehrenwort des Premiers noch auf ein Vetorecht für die Kleinen einigen.

Als sich die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien Ende letzter Woche auf den vorläufigen Wortlaut der Regierungserklärung einigten, fielen die überraschend großen Zugeständnisse der ODS auf. Plötzlich stimmte Premier Klaus der von seinen Partnern jahrelang geforderten Gebietsreform zu. Auch hatte Klaus nichts mehr gegen eine Rückgabe enteigneten Kirchenbesitzes und sprach sich sogar für eine Trennung der Rentenversicherung vom Staatshaushalt aus.

Hinter so viel Bereitschaft vermuten viele ein klares Ziel: die Mehrheit in der Regierung. Doch das Mißtrauen ist groß, blockierte die ODS doch auch in den vergangenen vier Jahren die Verwirklichung von Punkten, die im Regierungsprogramm enthalten waren. Und einer Wiederholung der Geschichte wollen ODA und KDU- SCL nun vorbeugen.

Bei dem Streit um die Ministersessel wurde allerdings bisher eines vergessen: die Sozialdemokraten. Denn diese können den zäh ausgearbeiteten Kompromiß zunichte machen. Vor der ersten Sitzung des Parlaments gestern nachmittag war kein Treffen zwischen Koalition und größter Oppositionspartei vorgesehen.

Sollte den Sozialdemokraten das Regierungsprogramm nicht gefallen – und dieses wird bei Steuerfragen und Staatshaushalt erwartet –, wird es wahrscheinlich im Parlament durchfallen, und die Verhandlungen können erneut beginnen. Bis dahin wird der Chef- Sozialdemokrat Miloš Zeman aber voraussichtlich schon auf dem Sessel des Parlamentsvorsitzenden Platz genommen haben. Dieser ist das bisher einzige Zugeständnis an die Sozialdemokraten. Katrin Bock