: In der Türkei regiert der Schlagstock
Der kurdischen Partei Hadep droht nach den Prügelorgien und Verhaftungen vom Wochenende das Verbot. Der türkische Staat geht insgesamt härter gegen Oppositionelle vor ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Nach dem Parteikongreß der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ (Hadep), der am Wochenende in Ankara stattfand, bestimmt nationalistische Hysterie das politische Leben in der Türkei. Als „Versammlung der Verräter“, als „Provokation der PKK“ war der Kongreß der legalen Partei in den Medien gebrandmarkt worden. Anhänger der PKK hatten auf dem Kongreß, an dem rund 30.000 Menschen teilnahmen, eine türkische Flagge entfernt und an ihrer Stelle die Fahne der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) aufgehängt. Unmittelbar nach Bekanntwerden des „Flaggenskandals“ wurden Innenministerium, Staatsanwaltschaft und Polizei aktiv.
Mittlerweile befinden sich der Vorsitzende der Partei, Murat Bozlak, sowie die neugewählten Mitglieder des Parteivorstandes in Polizeihaft. Unter ihnen Cihan Sancar, Ehefrau des ehemaligen kurdischen Abgeordneten Mehmet Sancar, der in Batman umgebracht wurde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes Ankara kündigte gestern an, daß er die Funktionäre der Partei wegen „Separatismus“ und „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ anklagen will, Delikte, die mit dem Tod bestraft werden können. Polizeieinheiten drangen in die Parteizentrale ein und beschlagnahmten Dokumente. Als die Delegierten den Parteitag verließen, kam es zu Prügelorgien der Polizei.
Doch nicht nur Gerichte und Polizei gehen gegen die legale, vom Verfassungsgericht noch nicht verbotene Partei vor. In Izmir legten Unbekannte eine Bombe in das Hadep-Parteibüro. Eine Person wurde verletzt. Drei Delegierte des Kongresses, die mit dem Auto den Rückweg in ihre Heimatprovinz angetreten hatten, wurden im zentralanatolischen Kayseri erschossen. Andere Delegierte wurden auf dem Rückweg von Militärpatrouillien in Kurdistan festgenommen.
Mit diesen Maßnahmen ist ein Mechanismus in Gang gesetzt, wie er schon vor den Verboten der Hadep-Vorgängerparteien HEP und DEP zu beobachten war: Terroranschläge auf Funktionäre, Razzien und Festnahmen, schließlich das Verbotsurteil des Verfassungsgerichtes und die Verurteilung der führenden Politiker. Noch immer sitzen vier ehemalige Abgeordnete der DEP im Gefängnis, unter ihnen Sacharow-Preisträgerin Leyla Zana. Die jetzt kriminalisierte Hadep errang bei den Nationalwahlen im vergangenen Dezember rund fünf Prozent der Stimmen. In den kurdischen Provinzen wurde sie stärkste Partei, konnte jedoch aufgrund der nationalen Zehnprozenthürde keine Abgeordneten in das Parlament nach Ankara entsenden. Die Hadep war die vielleicht letzte Möglichkeit der kurdischen Opposition, sich im verfassungsmäßigen Rahmen legal zu betätigen.
Der Schlag gegen die kurdische Opposition ist Teil einer insgesamt härteren Gangart gegen Oppositionelle. Seit über einem Jahr hatten Familienangehörige von in Polizeihaft „Verschwundenen“ jeden Samstagmittag eine halbstündliche, stille Protestaktion im Istanbuler Zentrum Galatasaray durchführen können – seit drei Wochen geht die Polizei mit Brutalität gegen jeden vor, der sich samstagmittags dem Platz mit Blumen – Symbol des Protestes – nähert.
Auch die linke Partei der Arbeit, die am Montag eine Versammlung gegen das ihr drohende Verbot durchführte, spürte die harte Gangart. Mit Knüppeln wurden die Parteimitglieder auseinandergetrieben. Rund zweihundert Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer. Blutüberströmte Menschen wurden in die Gefangenentransporter gestoßen. „Barbarei“, befand die grüne Europaabgeordnete Claudia Roth, die sich zur Zeit in Ankara aufhält.
Der Staat fördert unterdessen Aktivitäten unter Federführung der faschistischen „Nationalistischen Aktionspartei“ des Exobersten Alparslan Türkes gegen mutmaßliche Oppositionelle. Mit Parolen wie „Es lebe die türkische Polizei“, „Nieder mit der PKK“, zollten Versammelte der Polizeiaktion gegen die Partei der Arbeit Beifall. In Izmir verbrannten Geschäftsleute kurdische Flaggen. Im Ankaraer Stadtteil Keciören gingen faschistische Militante auf eigene Faust gegen das Hadep-Parteibüro vor.Kommentar Seite 10
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