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Südamerikanische Hochzeit

Der Weg zum Pazifik ist frei: Chile tritt dem Freimarkt Mercosur bei. Eine zollfreie Zone von Feuerland bis Kolumbien soll kommen  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Ein zäher Verhandlungsmarathon ist zu Ende. Der chilenische Außenminister José Miguel Insulza lehnt sich zufrieden zurück. „Ich freue mich sehr, nach einer ziemlich langen Periode des Verhandelns zu einem Abkommen mit dem Mercosur gekommen zu sein.“ Nachdem alle Beteiligten gestern im argentinischen San Luis unterschrieben haben, ist Chile assoziiertes Mitglied des „Gemeinsamen Marktes im Südkegel Lateinamerikas“ (Mercosur).

Damit hat das Buhlen um den Andenstaat ein Ende. Für die bisherigen Mercosur-Mitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ist die Traumhochzeit perfekt. Der neoliberale Musterknabe Chile war immer ihr Wunschpartner. Darum ließen sie dem Andenstaat in der Gründungsakte des Mercosur, dem Vertrag von Asunción vom März 1991, eine Hintertüre offen. Alle anderen Länder haben es nicht mehr so leicht, wenn sie dem ambitionierten Freihandelsprojekt beitreten wollen. Mit dem Ehevertrag zwischen Mercosur und Chile soll es am ersten Oktober ernst werden. Dann kurbeln die ungleichen Partner gleichzeitig ihre Zölle um 40 Prozent herunter. Innerhalb der nächsten acht Jahre werden die Handelshemmnisse für 80 Prozent aller Güter gestrichen werden. In einer zweiten Periode, für die man sich 10 bis 18 Jahre Zeit nehmen will, soll dann der Handel mit den „kritischeren Produkten“ harmonisiert werden. Zu diesen Produkten zählen Weizen, Weizenmehl, Zucker und Fleisch. Diese Erleichterungen für den Warenverkehr kommen vor allem den in der Region operierenden transnationalen Konzernen zugute, da sie die Ressourcen haben, ihre Produktion in so kurzer Zeit umzustellen. Außerdem sind sie in der Lage, die Standortvorteile der einzelnen Länder zu ihren Gunsten zu nutzen. Die Elektrogiganten Philips und Siemens-Osram haben das begriffen und versorgen in einem Joint-venture den gesamten Südkegel mit Glühbirnen.

Daher zog es die Chefs der Mercosur-Länder vor ihrem offiziellen Treffen noch ins noble Hotel Sheraton zu Buenos Aires. Das World Economic Forum hatte die Oberhäupter mit rund 400 Top-Managern aus den Chefetagen der weltweit größten Konzerne zusammengebracht, die nach Investitionsmöglichkeiten in der Region suchen. Fred Steingraber, Boss der US-amerikanischen Consultingfirma A. T. Kearny, erläuterte dann auch gleich, wie das neoliberale Abc aufgesagt wird: „Kapital fließt in die Märkte, die offen sind. Handel muß ohne Einschränkungen strömen können und weniger statt mehr Regierung“ sei heute gefragt.

In keinem der Mercosur-Länder werden diese Konzepte angezweifelt. Über gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben sich die Mercosur-Länder noch nicht den Kopf zerbrochen.

Mit dem neuen Partner Chile hat der Mercosur jetzt auch eine Brücke zu den Märkten in Asien. Der Zugang zu den chilenischen Häfen am Pazifik war lange Zeit ein Objekt der Begierde, vor allem von Argentinien. Für den Mercosur wird Chile seine strengen Hygienevorschriften für importierte Lebensmittel lockern. „Chile nutzt große Teile seiner Gesundheitsvorschriften, um seinen Zugang zum Pazifik zu schützen“, ärgerte sich erst kürzlich Angel Miquel, Präsident der argentinischen Handelskammer für Obstanbau. Bisher durften nur Zwiebeln, Knoblauch und Kartoffeln von den Mercosur-Ländern nach Chile exportiert werden. Die Exporte des Mercosur nach Chile erreichten im vergangenen Jahr ein Volumen von etwa 2,7 Milliarden US-Dollar. Damit der Handel richtig in Fahrt kommt, verpflichteten sich Chile und Argentinien, bis zum Jahr 2000 sechs große Andenpässe für den Gütertransport ausbauen zu lassen.

Als nächster Partner für den Freimarkt steht schon Bolivien vor der Tür. Darum wird der bolivianische Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada heute ebenfalls seine Unterschrift unter ein Vertragswerk setzen, das sein Land dem Mercosur ein Stück näherbringt. Wenn alles nach dem Willen des argentinischen Wirtschaftsministers Domingo Cavallo geht, wird sich der Mercosur schon bald über den gesamten Kontinent ausbreiten und „ganz Südamerika eine Freihandelszone werden“. Doch dabei solle es nicht bleiben. Eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland steht noch immer ganz oben auf der Wunschliste der Mercosur-Länder.

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