„Kein handwerkliches Geschick“

■ Freimut Duve, SPD-Bundestagsabgeordneter, über Kinkels Politik gegenüber China und seine Arbeit im Auswärtigen Amt

taz: Herr Duve, was macht Bundesaußenminister Kinkel in seiner Politik gegenüber China falsch?

Freimut Duve: Er hat es konsequent versäumt, mit den Menschen zu sprechen, die sich seit langem mit der Situation in Tibet intensiv beschäftigen. Darunter sind auch etliche seiner eigenen Parteifreunde. Er hat darüber hinaus keine klare mit dem Kanzler abgestimmte Linie gefunden. Er hätte unserer Auffassung folgen und die Wirtschaftsinteressen von den Menschenrechtsfragen abkoppeln können. Wir können bei einem Land wie China doch nicht glauben, daß wir durch wirtschaftlichen Druck irgendeinen Menschen aus dem Gefängnis herausbekommen. Da bleibt doch nur die Befriedigung unserer eigenen Moralvorstellung.

Halten Sie die Absage der Chinabesuche durch Töpfer und Merkel als Reaktion auf Kinkels Ausladung für angebracht?

Ich halte das jetzt für richtig. Die Politik zwischen Staaten besteht zu mindestens 60 Prozent aus Symbolik. Klug wäre gewesen, wenn Kinkel gesagt hätte: Der Bundestag hat mich aufgefordert, nach China zu reisen — ich kann aber im Juli leider nicht. Kinkels Berater hätten ihn vor der Möglichkeit warnen müssen, daß die chinesische Regierung die Reise von sich aus absagt. Hätte Kinkel dann vorher gesagt, er verschiebt die Reise, und sei es nur um drei oder vier Wochen, dann wäre China die Absage sehr schwergefallen. Mit einem solchen Vorgehen hätten sowohl China als auch Kinkel das Gesicht wahren können. Solch handwerkliches Geschick vermisse ich oft im Auswärtigen Amt.

Mit anderen Worten: Der Außenminister ist ein Tolpatsch.

Nein, Tolpatsch ist für diese Debatte keine Kategorie. Ich muß aber feststellen, daß Klaus Kinkel nicht über die Berater und auch nicht über die Kenntnisse verfügt, die das Auswärtige Amt für seine Beziehungen zu solchen wichtigen Staaten wie China eigentlich bräuchte. Und sollte das Wissen doch vorhanden sein, dann benutzt der Außenminister es offenkundig nicht. Das wichtige Spiel mit Symbolen scheint Kinkel völlig fremd zu sein.

Sehen Sie jetzt den Stuhl von Klaus Kinkel wackeln?

Der Stuhl des Außenministers ist ja leider ein Stuhl der Koalitionsvereinbarungen und keiner der besonderen Begabung einzelner Politiker. Insofern glaube ich nicht, daß er wackelt.

Diplomatisch formuliert.

Ich sehe nicht, daß die FDP zur Zeit irgendeinen besseren oder schlechteren Kandidaten hat. Ich finde, daß Kinkel seine Arbeit nicht immer gut macht. Der Kanzler hat ihm sehr viel Initiative in der Außenpolitik abgenommen. Als Kanzler hat er zwar das Recht dazu. Aber Kohl macht es in einem Ausmaß, wie es das schon lange nicht mehr gegeben hat. Wir hatten in den fünfziger Jahren unter Adenauer eine Zeit, in der der Kanzler das Außenamt mehr oder weniger selbst übernommen hat.

Der eigentliche Außenminister heißt also Helmut Kohl?

Ja. Und damit ist er auch für die Fehler verantwortlich. Schließlich hat die Leichtfertigkeit, mit der der Kanzler bei seiner letzten Reise die Parade chinesischer Soldaten abgeschritten hat, wesentlich zur jetzigen Situation beigetragen. Interview: Wolfgang Gast