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■ Bilder aus dem Swinging Harlem: Mit Black and Blue füllt das Thalia Theater das Sommerloch mit einer historischen Step-Revue

Manche Worte haben sich ins kollektive Unterbewußte eingebrannt und lösen im Kopf gleich ganze Bilderwelten aus. „Cotton Club“ oder „Swinging Harlem“ sind solche Schlagworte, prallvoll mit Untertönen und atmosphärischen Schwingungen. Ihre Nächte meint jeder zu kennen, die Nächte des Stadtteils im Norden von Manhatten, wo – zwischen dem Reichtum von „Sugar Hill“ und der Armut des Ghettos – der schwarze Großstadtjazz zwischen den Kriegen wie eine grelle, lebensvolle Kulturrevolution losging.

Was Francis Ford Coppola mit seinem Streifen Cotton Club 1984 mißlang, funktionierte ein Jahr später in Paris, wo die Argentinier Claudio Segovia und Héctor Orezzoli sich an dasselbe Thema machten: die Heraufbeschwörung eines Mythos, die Verbildlichung des Nichtdarstellbaren. Hier machte Atmosphäre sich breit, die Luft jener Nachtclubs, in denen eine orgiastische Ausstattungsrevue die nächste jagte und schwarze Superstars von damals oder später vor einem eleganten, weißen Publikum ihr Bestes gaben. Die beiden Süd-amerikaner stellten aber auch eine Revue auf die Beine und keinen Riesenfilm mit Großbudget. Sie holten sich schwarze Tänzer, Sängerinnen und Sänger, spielten nach, was da so im kollektiven Unterbewußten war – und schufen „Black and Blue“, eine Step-Revue, die sich nicht weniger zum Ziel setzte, als die Geschichte der schwarzen Musik in diesem Jahrhundert an ihren Glanzpunkten nachzuzeichnen – von Bessie Smith und ihrem herzfetzenden Blues bis zur kühlen Eleganz eines Duke Ellington. Längst hat die Pariser Revue sich ihre Sporen auch im Musical-Mekka verdient: Am Broadway heimste „Black and Blue“ 1989 drei Tony Awards ein – wohl schon wegen der Musikgeschichte, die erzählt wird. Ein Hauch von der Größe amerikanischer Unterhaltungs-Historie umgibt auch das Ensemble. Immerhin tanzt hier der inzwischen 74jährige Bunny Briggs mit, der tatsächlich mit dem großen Duke gearbeitet hat, aber auch mit Nat King Cole oder – etwas weiter unten – mit Dean Martin.

Kein Theater kann einfach den Sommer durchspielen – schließlich haben auch Schauspieler ein Recht auf Urlaub. Trotzdem wird das Thalia in dieser Zeit nicht einfach vermietet: Unter der Prämisse, daß das Haus eh voll wird, sucht man sich hier ein Gastspiel und veranstaltet auf eigene Gefahr. Mit „Black and Blue“, seinen hochgelobten Tänzern und vielgepriesenen Sängern dürfte die Gefahr eines Finanzdebakels dabei trotzdem recht gering bleiben.

Thomas Plaichinger

Premiere: 28. Juni, Thalia, 20 Uhr