Hinter dem urbanen Alltag

■ Die „Stadtansichten“-Reihe untersucht Hamburger Lebensraum

Am Beispiel Ottensen: Was die Evangelische Sommerakademie mit ihren Stadtansichten zur Zeit Erhellendes leistet, ist spannend wie der urbane Alltag selber.

Am Dienstag abend präsentierte Waldemar Süß das Ergebnis eines dreijährigen Projektes im Stadtteil Ottensen. Süß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Medizinsoziologie im UKE. Dem Thema „Gesundheit und Wohlbefinden in der Stadt“ stellte er die Näherungspunkte voran. Gesundheit gilt bei Befragungen als meistgenannter Wunsch an Lebensqualität. Im Gegensatz zur Schulmedizin, die Krankheit als ein schicksalhaft hereinbrechendes Unglück begreift, erforscht die Medizinsoziologie die Bedingungen und Strukturen, aus denen Krankheit erwächst. Als übergreifende Handlungsbereiche zeichnen sich Wohnverhältnisse, Gesundheitsrisiken, Ökologie und Arbeitsverhältnisse ab.

Entsprechend wurde Ottensen repräsentativ befragt. Was meinen nun die Ottenser, die zwischen der Elbe im Süden, der S1 im Norden, der Griegstraße im Westen und der Max-Brauer-Allee im Osten angesiedelt sind? Folgendes: Es stört sie nicht das „Mercado“, es stören sie nicht die Punks und Penner. Das beeinträchtigt ihr Wohlbefinden kaum (9%). Krank und unmutig machen der Verkehr (43%), der Lärm (33%) und die schlechte Luft (29%).

Und was tut subjektiv gut in diesem Stadtteil? Die soziale Vernetzung (49%), die kurzen Wege zum Einkauf (27%), der Handwerker, der z. B. schnell mal die Schuhsohlen klebt (31%), vor allem aber die Nähe zur Elbe und die entschiedene „Buntheit“ und Atmosphäre des Viertels (41%). So bleibt am Ende als Ergebnis die Feststellung, das „Autos raus, mehr Grün, mehr Ruhe!“ das banale Lösungsmittel ist. Der langweilige Titel des Abends täuscht über die Brisanz hinweg: Der Autoverkehr verursacht neben Unfällen (50.000 verletzte Kinder allein in einem Jahr in Deutschland) Krebs, Herzinfarkt, Bluthochdruck, speziell bei Kindern fördert er Pseudokrupp, Asthma und Bronchitis. Mit weniger Autos, mehr Grün und Kinderspielplätzen wäre gleichzeitig für mehr Ruhe und bessere Luft gesorgt. Im Viertel wäre fast alles gut.

Waldemar Süß gebührt große Bewunderung dafür, aus einem unübersehbaren Daten- und Zahlendschungel einen so anschaulichen wie erstaunlichen Vortrag gestaltet zu haben. Eine Arbeit, die in die Sanierungssausschüsse gehörte, für die aber Gesundheit „kein Ziel und kein Handlungsmotiv ist“.

Elsa Freese