Machst' dir halt selber was

■ Ein seltsamer Heiliger: Petrus von Herberstein erfand mit der „Opera Piccola Bremen“ sein eigenes Opernhaus / Premiere am 4. Juli für Haydns „Armida“

„Phönix steigt aus der Asche!“ Flammende Worte leiten bereits die Einladung zur Pressekonferenz ein, auf der die „Opera Piccola Bremen“ ihren Neuanfang erklären will. Doch Phönix ist ein wenig spät dran. Weit nach Ablauf aller Höflichkeitsfristen hetzt Dr. Petrus von Herberstein, Chef des Unternehmens, in den Konferenzraum. Er sei nur noch rasch ins Fotogeschäft, einen Film „für die Pressefotografen“ kaufen, erklärt seine Pressedame. Warum, wieso, bleibt ungeklärt.

Den Leiter der „Opera Piccola“ kann's nicht anfechten. Zuviel Ärger hat Herberstein schon auf seine schmalen Schultern nehmen müssen all die Jahre. Gelassen nimmt er Platz am Pressetisch. Dunkelblaues Jackett, weißes Hemd, Krawatte; dazu eine beige Arbeitshose mit extrabreiten Taschen. Ein Ahnungsloser könnte vermeinen, da habe sich jemand nicht zwischen Oper und Selbstbaumarkt entscheiden können. In der Person Herbersteins aber sind die schönsten Widersprüche gut aufgehoben: Festlichkeit und Alltagsgrauen, Glanz und Elend, Oper und Straße. Seit neun Jahren ringt der Meister um Ruhm und Anerkennung, stets scheitert er – und kommt doch immer wieder auf die Beine. Schon steigt sein Fieber wieder, die nächste Premiere naht: Am 4. Juli will er das Kunststück fertigbringen, fast ohne Geld Haydns „Armida“ aufzuführen.

„Ich hab' mir schon was Besseres vorgestellt“, sagt Herberstein und blickt zu Boden, als könne er dort den Scherbenhaufen seiner bisherigen Arbeit betrachten. Den Weg zum freien Opern-Impresario ist er nicht ganz freiwillig gegangen. Die „Opera Piccola“, als Sammelbecken für Talente und beherzte Amateure, bietet ihrem „musikalischen Gesamtleiter“ Herberstein das, was ihm in der großen Opernwelt verwehrt blieb.

Denn dort hat es Herberstein nicht weiter als bis in den Souffleurkasten gebracht. Der gebürtige Wiener studierte in seiner Heimatstadt zwar Musik. Den Doktortitel aber hat er als Mediziner erworben. Sein Herzenswunsch, einmal große Opern zu dirigieren, scheiterte immer wieder an der gleichen Stelle: Um wenigstens die Stufe des Korrepetitors zu erklimmen, hätte er sein Instrument beherrschen müssen. Er übte wie ein Besessener. „Aber ich war einfach zu schlecht am Klavier.“

Nach Bremen kam er zu Zeiten der Intendanz Richter. Eine Weile arbeitete Herberstein als „dirigierender Souffleur“ am Goetheplatz. Dann wieder das „Aus“ – „da hab' ich mir gedacht: Machst' dir halt selber was.“

1987 gründete Herberstein in Bremen sein waghalsiges Klein-Unternehmen. Ziel: große, selten gespielte Opern auf die Bühne zu bringen. Ohne Geld und ohne festes Ensemble freilich. Aus der Not wollte Herberstein eine Tugend machen: Junge Sängerinnen und Sänger sollten hier ein Sprungbrett für ihre Karriere bekommen, das Orchester mit heimischen Talenten bestellt werden. Ein schöner Vorsatz – allein, den Nachwuchs auch einfühlsam zu dirigieren, brachte Herberstein nicht immer fertig.

Schon die erste Aufführung, Mozarts „La Finta semplice“, wird von der Kritik gnadenlos verrissen. „Eine meisterliche Kompilation sämtlicher Klischees und Banalitäten des herkömmlichen Musiktheaters“, höhnt die „taz“. Herbersteins selbst kommt als „genialer Dilettant“ davon. Selten klingt es freundlicher, wenn die Musikkritik in den folgenden Jahren auf Herbersteins Mini-Oper trifft, auf steter Tingeltour durch Bremens Säle.

Das hätte der Meister wohl verschmerzt. Wären nur nicht diese ewigen Streitereien mit dem eigenen Personal gewesen. Der Furor in der „Opera Piccola“ übertraf bisher alle Opernklischees. Mal sprangen die Regisseure kurz vor der Premiere ab, mal drohten die Sänger mit Betrugsanzeigen. Vor einer Rossini-Premiere im Schlachthof entschuldigte sich das komplette Ensemble beim Publikum im voraus, per Tageszeitung: „Das wird horrormäßig.“ Herberstein gibt zu: Von denen, die er eigenhändig engagiert, will er sich nicht allzuviel in die künstlerische Gesamtleitung hineinreden lassen. „Ich hab' natürlich den Ehrgeiz, selbst die Tonart anzugeben.“ Die kann auch mal etwas lautstärker sein. „Vielleicht bin ich manchmal zu hart, das gibt böses Blut.“ Und endet oft darin, daß Herberstein selbst Regie führt und den Taktstock schwingt. So gut es halt geht.

Auch der Nachwuchs fühlt sich da nicht immer wohl. Was Herberstein als Talentförderung verkauft, sehen andere als freundliche Form der Ausbeutung. Nicht mal die Unkosten für die Reise kann der Opernchef seinen Sängerinnen und Sängern zahlen, wie er einräumt. Fündig wird er vor allem beim amerikanischen Nachwuchs: „Die wollen einfach.“ Auch für ein paar Hunderter. Der Leidensdruck muß nur groß genug sein. „Aber so kann's nicht weitergehen“, ahnt selbst Herberstein; „manchmal komm' ich mir wie ein Narr vor; manchmal denk' ich, vielleicht bin ich einfach blöd.“

Und doch geht's munter weiter. Nach dem Absturz im Fallturm, wo dieTruppe vor zwei Jahren gastierte, rafft Herberstein nun wieder seine ganze Opernleidenschaft zusammen. Und siehe: Schon hat der Unentwegte ein paar neue Anhänger gefunden. Ein richtiger Förderkreis hat sich gegründet, 15 Opernfreunde stark. Eine PR-Frau soll das miserable Image der „Opera Piccola“ aufpolieren. Neuerdings existiert sogar eine „Opera Piccola Homepage“ im Internet und wirbt so weltweit für das Unternehmen.

Vor allem aber steht ein neues Stück auf dem Programm. Haydns „Armida“ – „das ist so leidenschaftlich, da blute ich fast“, sagt Herberstein. Und diesmal wird es keinen Ärger mit eigensinnigen Regisseuren geben. Die Inszenierung und das Dirigat besorgt Herberstein von vornherein selbst. Thomas Wolff

„Armida“, ab 4. Juli im „Modernes“, am 12. Juli im Kulturbahnhof Vegesack