Helden wie die

Gelübde werden abgelegt, Messer gezückt, Bürger geknebelt – in der Schaubühne haben Katka Schroth und Christoph Roos Tim Staffels nostalgische „Stadt der Krieger“ inszeniert  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Da, wo das ehemalige SO 36 am beschaulichsten ist, trifft sich an einem Sommerabend eine Gruppe wohlgekleideter, wohlgesitteter Menschen. Sie stehen gemütlich auf dem recht sauberen Trottoir beisammen, dann schlendern sie in ein Eckhaus hinein, in die Probebühne Cuvrystraße, die zur Schaubühne gehört und dementsprechend üppig ausgestattet ist. Die Menschen setzen sich artig hin und sehen sich eine Aufführung an. Die Aufführung ist sehr gut ausgeleuchtet und zeigt Rebellen, Blut und Bomben. Die Menschen sind vielleicht nicht gerade begeistert, aber sie sind höflich und spenden angemessen Beifall.

Miko hat sich zwei Wochen lang in sein Zimmer eingeschlossen und kommt als Samurai wieder heraus. Marlon, der „Schatten der Rebellion“, liebt die Freiheit und das Blut. Anton hat genug davon, als Polizist den Verkehr zu regeln. Er will lieber Bomben bauen. Gemeinsam stürzen sich die drei Krieger in den Kampf. Gelübde werden abgelegt, Messer gezückt, brave Bürger geknebelt. Tim Staffels „Stadt der Krieger“, 1994 uraufgeführt, ist bei aller behaupteten Angriffslust ein durch und durch nostalgisches Stück, eine Vision der guten alten Zeit, als Marlon Brando noch Motorrad fuhr, die RAF Bomben bastelte und der Krieg der Knöpfe tobte.

Die Verschwörer tragen blutrote Kriegsbemalung auf Stirn und Nase. Bevor sie in den Krieg ziehen, lümmeln sie im elterlichen Wohnzimmer und knistern mit Chipstüten. Trotzdem nimmt das Stück seine Helden durchaus ernst; sie vermögen sogar, das Land ins Chaos zu stürzen, bis die Übermacht einer Bürgerwehr, angeführt von Mikos despotischem Vater, sie besiegt. Natürlich wollen sich die Krieger nirgendwo einordnen lassen, aber geistesgeschichtlich wären sie wohl in der Nachfolge Bakunins zu orten mit ihrer explosiven Propaganda der Tat, der Lust an der Verschwörung und der Abneigung gegen parlamentarische Demokratie: „Ich mache ein Kreuz auf einen Zettel, und man sagt mir, ich bin frei, das Kreuz beweist es.“ Ist Anarchie machbar? Das Stück beginnt jedenfalls nach dem Scheitern des Aufstands, die Krieger verweigern die Aussage.

Tim Staffel muß den Verdacht gehabt haben, daß seine nostalgischen Rebellen im Grunde uninteressant sind. Sonst brächte er sie nicht mit so vielen seltsamen Figuren zusammen: einem blinden Au- pair-Girl, einem häßlichen, frechen Penner, einem schönen, frechen Kind. Das Stück ist am besten, wo es der Groteske am nächsten ist: Mikos blinde Schwester, die nach einer Operation wieder sehen kann, sehnt sich nach der Dunkelheit zurück. Denn wo alle dasselbe sehen, möchte sie nicht leben. Gerade die Beschädigten schließen sich dem Aufstand gegen die heile Welt an. Die Blinde, die die Abendnachrichten in Zeichensprache übersetzen soll, mobilisiert heimlich eine Armee der Taubstummen.

Am sonderbarsten und am schönsten ist das geheimnisvolle Gnomenpaar Ricky und Rocky. Der großartige Puppenspieler Peter Waschinsky hebt die boshaften kleinen Köpfe an seinen Händen durch eine Falltür. Ricky und Rocky prügeln sich um eine Chipstüte, spucken aus und können sogar rauchen.

„Stadt der Krieger“ ist mit feinnerviger Schaubühnen-Psychologie nicht beizukommen. Die jungen Regisseure Katka Schroth und Christoph Roos, die bei Andrea Breth assistiert haben, zeigen kein Kontinuum, sondern ein Mosaik vereinzelter Szenen, Schlagschatten in kaltem Licht. Mit den drei blassen Hauptfiguren meinen sie es leider genauso ernst wie der Autor: Cornelius Obonya ist ein kindlich-trotziger Miko, Marlon (Hans- Werner Meyer) kommt als lässiger Schlurf im Cowboy-Look daher, Nicholas Monu als Anton gibt sich abwechselnd genervt und cool und Rebellin Anja (Caroline Peters) versteinert.

Die übrigen Figuren erfreuen durch groteske Verzerrung: Mikos Vater (Rainer Philippi), natürlich ein Metzgertyp, markiert beim Anblick eines jungen Mädchens tierische Lüsternheit, die abgründig leidende Schwester (Nadja M. Schulz) ist als süßer Backfisch im Petticoat verkleidet und kramt dabei nachdenklich in blutigen Eingeweiden. Dies ist nicht die hunderttausendste Satire auf die Kleinfamilie, sondern ein irres Puzzle aus Tragödie und Sitcom.

Leider sind die Familienszenen rar und die öden Krieger allgegenwärtig. Einmal ziehen sich Miko und Anja sogar ganz nackt aus. Schweinische Rebellen? Nicht doch, man bleibt sauber. Da können nun noch so viele Scheinwerfer Explosionen simulieren und die hohen schwarzen Stellwände krachend zusammenfahren, diesen Kriegern nimmt man ihre Tatkraft nicht mehr ab. „O du lieber Augustin“, klingt es am Ende, „alles ist hin.“ Tja. Helden wie die will halt keiner haben.

„Stadt der Krieger“ von Tim Staffel, Regie: Schroth/Roos, Bühne: Jürgen Lier, heute, morgen und am 30. 6., 20 Uhr, Probebühne der Schaubühne, Cuvrystraße 7