Papierkonzern im Immobilienstrudel

Berlins Renommierunternehmen Herlitz AG setzte bei Grundstückskäufen 190 Millionen in den Sand. Die Folge: In der Bilanz 1995 gibt es keinen Gewinn für die Aktionäre des Konzerns. Eine neue Firmenstruktur soll den Erfolg sichern  ■ Von Hannes Koch

Auf dem Weg zu neuen Ufern ist das Schiff auf eine Klippe gelaufen. 70 Jahre beschäftigte sich das Berliner Unternehmen Herlitz mit Herstellung und Verkauf von Schulheften, Ordnern und Stiften. Nach der Vereinigung wagte man einen Ausflug in die stürmische See des Immobiliengeschäfts – und bekam prompt Schlagseite. Mit zwei aus dem Jahr 1991 stammenden Projekten befürchtet der Familienkonzern jetzt, 190 Millionen Mark in den Sand zu setzen. Diese wurden in der Bilanz für 1995 als „Rückstellung“ verbucht. Folge: Trotz steigenden Umsatzes kein Gewinn für das vergangene Jahr.

Das wird bei der Hauptversammlung am 18. Juli Ärger geben. Die AktionärInnen sind sauer, weil zum zweiten Mal die Dividende ausfällt. „In der Immobilieneuphorie nach der Wende wurden die Preise zu positiv eingeschätzt“, begründet Herlitz-Sprecher Immo von Fallois den zu erwartenden Verlust. Gemessen an heutigen Preisen gab man 1992 ungefähr 75 Millionen Mark zuviel für Flächen beim Firmensitz in Tegel aus. Wenn die Parzellen des zukünftigen Gewerbeparks „Am Borsigturm“ verkauft oder vermietet werden, wird der Ertrag vermutlich um diese Summe geringer ausfallen als der Kaufpreis. Von Fallois: „Das würden wir heute nicht noch einmal so machen.“

Zweiter Flop: 1991 verkaufte das Unternehmen sein Hochregallager in Spandau – um kurz darauf zu merken, daß man die Lagerflächen doch braucht. Man mietete das Stapelhaus zurück – und stellte bald fest, daß nun große Teile des Gebäudes nicht genutzt werden. Doch der Mietvertrag läuft bis 1999. Die Transaktion kostet rund 115 Millionen Mark.

Als Projektentwickler betätigt sich Herlitz auch vor der Stadtgrenze bei Spandau. In der Gartenstadt Falkenhöh entstehen knapp 1.400 Wohnungen. Einige sind für SozialmieterInnen gedacht, die meisten für die Wohlhabenden. Bislang laufen Vermietung und Verkauf gut. Die wegen ihrer architektonischen Gestaltung vielgelobte Siedlung brachte 1995 immerhin 198 Millionen Mark Umsatz. „Eine Stütze des Konzerns“, so Sprecher von Fallois.

Ob Herlitz seine Häuser in Falkenhöh allerdings ab 1997 auch noch gut verkaufen kann, steht in den Sternen. „Die Entwicklung ist kaum zu prognostizieren“, heißt es im Geschäftsbericht. Denn im Dezember läuft eine Möglichkeit zur Steuerabschreibung im ostdeutschen Wohnungsbau aus: Der Hauskauf wird dann deutlich teurer, was Privatleute von dieser Investition abhalten könnte. Davor fürchtet sich die gesamte Baubranche. Auch der Umsatz bei Herlitz könnte einbrechen.

Bis 1994 galt die Firma als überaus erfolgreich. 53 Jahre leitete Patriarch Günter Herlitz die Geschicke seines Betriebes und wanderte nicht nach Westdeutschland ab. Zwischen 1977 und 1993 stieg der Gewinn von 4,8 auf 48 Millionen, die Beschäftigtenzahl von 660 auf rund 5.000. Man profitierte von der großen Nachfrage nach Büromaterial in den neuen Bundesländern und der Öffnung Osteuropas.

Doch ab 1994 ließ die Konjunktur auf diesem Markt nach. Herlitz hatte Überkapazitäten. Das Ganze wäre nicht so gravierend gewesen, hätten nicht die „Herlitz-spezifischen“ Probleme bei Immobilien die Auswirkung noch verschärft, meint Unternehmensanalystin Kathrin Spanek (Bankgesellschaft Berlin). Von einst über 400 Mark fiel die Aktie auf 170 Mark im Mai diesen Jahres.

Trotz Immobilienverlusten und mieser Konjunktur nagt das Unternehmen aber nicht am Hungertuch. Die Gewinne fallen mager aus, es gibt sie aber noch – was bei vielen anderen Berliner Firmen nicht selbstverständlich ist. Jeder der vier Kernbereiche des Konzerns schrieb 1995 schwarze Zahlen. Vorne liegt das Handelshaus Herlitz International Trading AG (HIT, München) mit 19 Millionen Mark. Die HIT ist erfolgreich im Papierhandel: In der russischen Handelsstadt Nischni Nowgorod kaufte man die Papierfabrik AO Volga, die satten Gewinn abwarf. Einige westliche Druckereien verwenden inzwischen das russische Zeitungsdruckpapier. Auch der Bereich Papier-, Büro- und Schreibwarenproduktion (PBS) lag im vergangenen Jahr in der Gewinnzone. Ganz knapp über den roten Strich kam die Einzelhandelskette McPaper AG, die unter ihrem verstaubten Image leidet. Weil die Grundstücksverluste auf den Konten des Gesamtkonzerns verbucht wurden, machte auch die Immobilientochter Herlitz Falkenhöh AG Gewinn.

Um Plus umd Minus den einzelnen Konzernteilen exakt zuschreiben und insgesamt flexibler reagieren zu können, führt Herlitz mit der Hauptversammlung am 18. Juli eine neue Unternehmensstruktur ein – die Zustimmung der AktionärInnen vorausgesetzt. Damit wird die Unterteilung in vier relativ selbständige Aktiengesellschaften vollendet, die in Zukunft unter Leitung der Herlitz-Holding stehen. Peter Herlitz, Sohn des langjährigen Firmenchefs Günter, zieht sich bei der Gelegenheit vom Vorstand in den Aufsichtsrat zurück. Mit den aktuellen Schwierigkeiten habe das nichts zu tun, heißt es. Schon vor langer Zeit habe die Familie entschieden, daß nicht notwendigerweise Herlitz-Abkömmlinge die schlauesten Manager sind, und deshalb beschlossen, vornehmlich Fachleute von außen zu suchen.

In der Berliner Politik vertritt der Konzern eine klare Position. Man plädiert für die große Koalition zwischen SPD und CDU und sichert sich Einfluß in beiden Parteien. Während der vergangenen beiden Wahlkämpfe unterstützte Peter Herlitz den Verein „Stimmen für Berlin“ mit größeren Summen. Damit wurden große Zeitungsanzeigen bezahlt, in denen sich unter anderem CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus-Rüdiger Landowsky für ein Bündnis mit der SPD aussprechen durfte. Im Herlitz-Vorstand sitzt Detlef Stronk, der bis 1989 dem Regierenden Bürgermeister Diepgen als Chef der Senatskanzlei diente. Doch die Ausgewogenheit bleibt gewahrt: Der ehemalige SPD- Wirtschaftssenator Norbert Meisner amtiert inzwischen als Herlitz- Beauftragter für das Gründerzentrum in Tegel.