Die „fortschrittlichste Verfassung der Welt“

■ Südafrika will eine „nicht rassistische und nicht sexistische Gesellschaft“ aufbauen. Eine Kommission für Geschlechtergleichheit soll darüber wachen

Frauen in anderen demokratischen Ländern, so schwärmt Sheila Camerer, können von so etwas wie der südafrikanischen Verfassung nur träumen. Das ist ein erstaunliches Urteil von einem Mitglied der Nationalen Partei (NP) unter dem letzten weißen Präsidenten Frederik de Klerk, die sich nicht gerade durch Wertschätzung von Emanzipation und Menschenrechten ausgezeichnet hat. Doch Sheila Camerer, ebenso streitbare wie ganz und gar untypische NP-Abgeordnete im Parlament und in der früheren Verfassunggebenden Versammlung, ist vor allem vom Grundrechtekatalog begeistert.

Tatsächlich kann sich das 140 Seiten lange Dokument, das am 9. Mai in Kapstadt verabschiedet wurde, sehen lassen. Erst in der allerletzten Minute einigten sich die Chefunterhändler von NP und ANC auf einen Kompromiß für die „fortschrittlichste Verfassung der Welt“, wie sie der Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung, Cyril Ramaphosa, schon vor Monaten angekündigt hatte. Der Schwerpunkt liegt auf der Betonung der Menschenrechte und Rechte für bisher benachteiligte Gruppen: Schwarze und Frauen. Eine „nicht rassistische und nicht sexistische Gesellschaft“ soll in Südafrika aufgebaut werden, heißt es in den einleitenden Zielen der Verfassung.

Der umfangreiche Grundrechtekatalog garantiert, daß „jeder vor dem Gesetz gleich ist“. Jegliche Diskriminierung seitens des Staates wird ausdrücklich untersagt, darunter auch geschlechtliche Diskiminierung, wofür vor allem Frauen fast aller Parteien in der Verfassunggebenden Versammlung gekämpft haben. Aber die endgültige Formulierung geht noch weiter und verbietet beispielsweise auch Diskriminierung von Homosexualität: „Der Staat darf niemanden direkt oder indirekt (...) aufgrund von Rasse, Geschlecht, Schwangerschaft, ehelichem Status, ethnischer oder sozialer Herkunft, Hautfarbe, geschlechtlicher Orientierung, Alter, Behinderung, Religion, Glauben, Kultur, Sprache und Geburt diskriminieren.“ Außerdem ist in der neuen Verfassung das Recht auf Abtreibung implizit festgeschrieben. „Jeder hat das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit; das schließt das Recht ein, Entscheidungen über Reproduktion zu treffen“, heißt es ebenfalls im Grundrechtekatalag.

Damit all diese hehren Grundsätze in der Praxis auch eingehalten werden, garantiert die Verfassung zwei unabhängige Kommissionen: eine Menschenrechtskommission (die bereits existiert) und eine Kommission für Geschlechtergleichheit. Sie soll in den nächsten Wochen eingerichtet werden und sich mit Verstößen befassen. Ihre genauen Rechte allerdings müssen erst noch durch ein Gesetz definiert werden. In vielen Punkten feierten die Frauen ihre Erfolge über die Parteigrenzen hinweg. Garantiert werden in der Verfassung auch eine ganze Reihe von Rechten, die Frauen nicht explizit erwähnen, von denen Frauen aber besonders betroffen sind. Dazu zählen das Recht auf Wohnung, gesundheitliche Versorgung, auf Ausbildung und Arbeit. „Damit sind wir sehr zufrieden“, so die ANC-Frau Naledi Pandor.

Eine grundlegenden Dissens allerdings gibt es zwischen ihr und Camerer: Der Abtreibungsparagraph geht der Nationalen Partei zu weit. „So, wie das jetzt formuliert ist, wird jede weitere Gesetzgebung über Abtreibung unmöglich gemacht“, glaubt Camerer. Gemeint sind damit Einschränkungen wie etwa eine Zwangsberatung. Trotzdem will ihre Partei erst einmal abwarten, wie die neue Abtreibungsgesetzgebung aussehen wird. Ende diesen Jahres soll sie dem Parlament vorgelegt werden und eine Verfassungsklage von der NP ist nicht ausgeschlossen. Pandor hingegen verteidigt den Paragraphen vehement. „Jedes Jahr sterben Tausende von schwarzen Frauen an illegalen Abtreibungen, das muß sich ändern.“

Die gegenwärtige Gesetzgebung habe zu viel Leiden verursacht, glaubt auch Sheena Duncan, Vorsitzende der Frauenorganisation Black Sash. „Deshalb halte ich den Abtreibungsparagraphen für notwendig – und einen großen Erfolg.“ Black Sash berät Frauen in ganz Südafrika vor allem in rechtlichen Fragen und hat in den oft schwer erreichbaren ländlichen Gebieten ein dichtes Netz von Kontakten aufgebaut. Duncan warnt jedoch auch vor allzugroßen Hoffnungen auf den Verfassungstext, den die Hälfte aller Frauen in Südafrika gar nicht lesen kann. „Wie bei allen Verfassungen kommt es darauf an, wie sie angewendet wird. Erst einmal müssen Frauen lernen, mit ihr umzugehen.“ Und auch die Frauenrechtlerin Christina Murray, Juristin und Verfassungsexpertin, meint: „Die Verfassung ist ein Symbol – nicht mehr und nicht weniger.“ Kordula Doerfler