■ Oliver-Neß-Prozeß: Mildes Urteil gegen Polizisten
: Lizenz zum Prügeln

Erst schlagen, dann fragen. Der polizeikritische Fernsehjournalist Oliver Neß wurde vor zwei Jahren vor laufenden Kamaras zusammengeknüppelt. Ungeschoren, da war sich die Medienlandschaft selten einig, wird die Hamburger Polizei nicht davonkommen. Denn anders als in den 130 Fällen des Hamburger Polizeiskandals gab es Zeugen, mehrere Stunden Filmmaterial und Dutzende von Pressefotos.

Letztlich hat die ungewöhnlich gute Dokumentation dieses polizeilichen Mißhandlungsfalls dazu geführt, daß das Gericht nur gelten ließ, was durch Bilder beweisbar war. Alles andere wurde praktisch nicht wahrgenommen. Die Zeugenaussagen spielten kaum eine Rolle.

Neß selbst hat in diesem Prozeß keine gute Figur gemacht. Daß er in Interviews, Aussagen und einem kürzlich erschienenen Buch einen Polizisten namentlich und gnadenlos als Initiator des Racheakts darstellte und im Prozeß selbiges zurücknahm, machte einen schäbigen Eindruck. Seine Komplott-Theorie ist dadurch nicht gerade glaubhafter geworden. Das Entscheidende ist ohnehin nicht, ob sich ein Racheakt nachweisen läßt – dazu müßte schon ein Polizist auspacken –, sondern daß viele dies für möglich und wahrscheinlich halten.

Die Polizei hat in diesem Prozeß ein erschreckendes Bild geboten: Verschleiern, Mauern und professioneller Vertuschungsarbeit. Der Verdacht, daß diese Polizei die Pressefreiheit mit Schlagstöcken bekämpft, ist keineswegs abwegig. Daß die Hüter der rechtsstaatlichen Ordnung bei politischen Auseinandersetzungen erst schlagen und dann fragen, wurde vom Gericht allerdings kaum berücksichtigt. Das milde Urteil ist deshalb gleichzeitig ein Freispruch für die schlagfreudige Hamburger Polizei; ein Signal für Beamte, die ihre Dienstmarke mit einer Lizenz zum Prügeln verwechseln.

Gerade wenn man dieses Urteil mit Strafen gegen Demonstranten vergleicht, die Polizisten angreifen, wird deutlich, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird: Prügel von Polizisten gilt als Kavaliersdelikt. Ungesühnt bleibt im übrigen auch, daß der ganze Apparat bis hinauf zum Innensenator im Fall Oliver Neß alles tat, um eine rechtsstaatliche Kontrolle polizeilichen Vorgehens zu verhindern. Und das ist der eigentliche Skandal. Silke Mertins