■ Nick Leeson, Jürgen Schneider, Friedrich Hennemann. Daß Manager immer öfter im Knast landen, ist kein Zufall
: Das Kriminal-Kapital

Jetzt landen sie im Kriminal. Einige begehen Selbstmord. Ulcus, Krebs, Infarkt sowieso. Schlafen mit der Sekretärin, weil die Frau sie nicht versteht. Oder schlafen mit der Frau, weil die Sekretärin sie nicht versteht. Oder, einfachste Lösung, Impotenz als Ergebnis höchster Potenz. Je höher oben, desto schlaffer unten. Hoijotoho, Managerdämmerung.

Was mich erstaunt ist, warum die Linken erstaunt sind. Wer Geld und Macht hat, daß der gesund, glücklich und sittlich hochstehend sein müsse, ist eine seltsame Art von Antikapitalismus. Marx reicht uns sein gesundes Gegengift: „Der Kapitalismus zerstört nicht nur seine Opfer, sondern auch seine Nutznießer“ (Vorwort zum „Kapital“, 1. Band).

„Jetzt werden sie auch noch kriminell, die Manager!“ – Warum sollte das verblüffen? Der Kapitalismus ist kriminell in seinem innersten Wesen. Zu dieser abstrakten Wahrheit gehört auch die konkrete Wirklichkeit des greifbaren Kriminal-Kapitals, ab und zu und immer wieder.

Zu meiner Lebenserfahrung gehören persönlich anständige, gesunde, robuste Kapitalisten in ungefähr gleicher Anzahl wie unmoralische, kranke Antikapitalisten. Aber das ändert nichts am historischen Befund: Das Kapital kommt zur Welt, aus allen Poren triefend kriminell, und es bleibt dies, potentiell wie aktuell.

Mit der naiven Theorielosigkeit des Künstlers sagt Balzac: „Auf dem Grunde jeden großen Geschäftes liegt ein großes Verbrechen.“ Man kann heute im großen Rußland hautnah sich zu Gemüte führen, nach dem Krepieren des kriminellen Kommunismus, wie nun ganz ungeniert die kriminellen Neuanfänge des Kapitalismus sich vollziehen. Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals ist ein Geschäft, das zu allen solchen Anfangszeiten in den Händen und Klauen von Räuberbanden lag.

Die ursprüngliche Natur des Kapitals kommt halt immer wieder zum Vorschein, individuell und gehäuft, wenn die Zeiten wieder danach sind. Derzeit sind sie danach. Die Geschichte des Sozialismus läßt sich schreiben als Geschichte der Zivilisierung und Entkriminalisierung des Kapitalismus – mit dem provisorischen Ergebnis des dramatischen Scheiterns und auch des Selber-Kriminellwerdens.

Der Sozialismus ist vorläufig gescheitert und der Kapitalismus vorläufig wieder da, triumphal und mit keinem Anlaß, die kriminelle Sau nicht herauszulassen.

Nun, da der Realkommunismus dahin ist, läßt sich ja getrost auch einiges Gute über ihn sagen. Die schreckliche Sowjetunion war – unbeschadet echter Feindschaft zwischen ihr und der westlichen Sozialdemokratie – eine hochwirksame Einschüchterung kapitalistischen Übermuts, und insofern die Sozialdemokratie den Kapitalismus sozialpartnerlich konterkarierte, war die Sowjetunion dabei eine objektive Helferin der Sozialdemokratie.

Solange sich der aufgeklärte Kapitalist sagen mußte: „Allzu arg darf ich's nicht treiben, sonst werden mir die Leute am Ende kommunistisch“ – solange hatten es Sozialdemokraten und Gewerkschaften leichter auf ihrer Jagd nach dicken Brosamen vom kapitalistischen Tisch. Das ist heute vorbei.

Damit verrutscht die Polit- Grundlage westlicher Demokratie insgesamt. Der berühmte „Grundkonsens“ war ja, ausgedrückt in den unpräzisen, aber handlichen Links-Rechts-Koordinaten: Die Rechten können nicht ganz nach rechts, sie bleiben „halbrechts“. Die Linken sind dafür nicht ganz links, sondern nur „halblinks“. Die Halben und Halben sitzen an einem Tisch, mit hoher Friedlichkeit, und Friede ist natürlich ein höchster moralischer Wert.

Der Austromarxist Otto Bauer, dieses Genie, in welchem sich der österreichische Sinn für Gleichgewicht und Kompromiß aufs unsauberste vermischte mit intelligent angewandtem Marxismus, nannte einen solchen Zustand „Gleichgewicht der Klassenkräfte“.

Er hielt dieses Gleichgewicht für jeweils vorübergehend und bekam so sehr recht, wie er es gar nicht vorausahnen konnte. Durch den Tod der Sowjetunion; durch den Rechtsruck im Zuge der Wiedervereinigung; durch die weltweiten Bewegungs- und Ausweichmöglichkeiten des Kapitals; vor allem und am unentrinnbarsten durch die technologische Revolutin, die jegliche „Arbeiterklasse“ im bisherigen Verstand irreversibel ausdünnt – durch all das sind die Kräfte des Kapitals riesenhaft wie noch nie, die Gegenkräfte dementsprechend zwergenhaft.

Der Kapitalismus kann es sich sparen, wie bisher Zuwächse „gerecht“ zu teilen zwischen sich und seinen Gegnern. Schon gar nicht können diese, die nicht einmal mehr ihren Teil an den Zuwächsen ergattern, irgendwie heran an die Grundsubstanz des Kapitals.

Das haben Sozialdemokratie und Gewerkschaften übrigens auch nie ernsthaft im Sinn gehabt. Ihr Grundsatz und damit auch die Grundlage ihres erfolgreichen Friedensschlusses mit dem Sozialkapitalismus war immer: „Heilig sei das Eigentum an eurem kapitalistischen Reichtum, aber von dem, was zuwächst, müßt ihr ordentlich was herausrücken.“

Vorbei, vorbei. Im dicken Tatsachenroman des Kriminal-Kapitals beginnt ein neues Kapitel.

Verglichen mit dem kriminellen Grundcharakter des Kapitalismus ist alles andere Kleinkriminalität, auch wenn es nun einigermaßen groß und auffällig wird für die unbedarfte Welt der Tagesmedien.

Das gehäufte und ungenierte Kriminellwerden von Topmanagern ist freilich nicht nur Symbol für rücksichtslosen Übermut siegreichen Kapitals. Es ist auch – in typischer Doppeldeutigkeit der Entwicklung – Symbol für die tiefe Krise im Schoße dieses so rasant erfolgreichen Kapitalismus.

Das Durchsetzen der Weltweite und der neuen Technologie stürzt große und bisher großmächtige Fraktionen des Kapitals in Hilflosigkeit und Verzweiflung. „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“, sagt höchst dichterisch ein gewisser Marx. In ebendieser Verzweiflung rauschen auch die trüben Quellen verzweiflungsvoller Manager-Kriminalität. Dieses Rauschen könnte doch gar lieblich klingen all jenen, also vorläufig wenigen, die an ein langsames Erwachen von neuem Sozialismus glauben. Günther Nenning