■ Sie nennen sich "Advokaten Gottes" oder "Tiger des Golfs". Sie kämpfen gegen die "Unmoral" der saudischen Herrscher und gegen "ungläubige" US-Soldaten in ihrem Land. Der Protest gegen das Regime von König Fahd wird immer größer.
: Die Insel

Sie nennen sich „Advokaten Gottes“ oder „Tiger des Golfs“. Sie kämpfen gegen die „Unmoral“ der saudischen Herrscher und gegen „ungläubige“ US-Soldaten in ihrem Land. Der Protest gegen das Regime von König Fahd wird immer größer.

Die Insel des Islam soll sauber bleiben

Die Rache ließ keinen Monat auf sich warten. Viermal hob der Scharfrichter am 31. Mai das gekrümmte, goldverzierte Schwert: Auf dem Schafott in Riad starben vier junge Männer. Angeblich waren sie islamistische Terroristen, verantwortlich für einen Anschlag auf ein US-Ausbildungslager für Angehörige der saudischen Nationalgarde am 13. November letzten Jahres. Bei der Explosion einer 200 Kilogramm schweren Autobombe waren damals sieben Menschen getötet worden, darunter fünf US- Amerikaner. Die Hinrichtung bezeichnete der saudische Innenminister als „Abschreckung“, damit sich „solch abstoßende Taten nicht wiederholen“.

Ende April hatte das saudische Fernsehen die vier Männer in demütiger Pose präsentiert. Die saudischen Staatsbürger, von denen einer aus Pakistan ausgeliefert worden war, gestanden, die Bombe gelegt zu haben. Den Sprengstoff hätten zwei von ihnen aus dem Jemen eingeschmuggelt. Zu einer Organisation gehörten sie nicht, erklärten die vier. Drei von ihnen hätten als „Mudschaheddin“ gegen die Sowjets in Afghanistan gekämpft und unter ihren Mitkämpfern Leute getroffen, für die das saudische Königshaus ein Hort des Unglaubens sei. Dieses Milieu habe sie geprägt.

Wichtig für ihre Entwicklung seien außerdem Usama Ibn Laden, (der Islamistensponsor residierte bis Mai im Sudan und ist seither spurlos verschwunden), der Chef der radikalen Gruppe Takfir wa- al-Hidschra, Muhammad al-Makdisi, und der in London lebende islamischen Menschenrechtler Muhammad al-Masari gewesen. Ein „Who is who“ der islamistischen saudischen Exilopposition. Ob die Geständnisse echt waren, darüber kann nur spekuliert werden. Das „Gerichtsverfahren“ gegen die vier Männer fand hinter verschlossenen Türen statt. Anwälte, die diese Berufsbezeichnung verdienen, erhielten keinen Zugang.

Zu dem Anschlag von Riad hatten sich drei Gruppierungen bekannt: die „Tiger des Golfs“, die „Kämpfenden Advokaten Gottes“ und die „Islamische Bewegung für Veränderung“. Nur die letzte davon war zuvor in Erscheinung getreten. Per Fax hatte sie westliche Soldaten und Berater aufgefordert, „die Insel des Islam“, Saudi- Arabien, bis zum Juni zu verlassen, ansonsten würden sie „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dazu gezwungen“. Bereits unmittelbar nach der Stationierung der US-Soldaten im saudischen Dhahran hatte es den ersten Anschlag gegen sie gegeben. Mitten im Golfkrieg beschossen im Februar 1991 Unbekannte in Dschidda einen Bus und verletzten zwei Soldaten.

Wer hinter den Anschlägen steckt, dürfte selbst für die saudische Führung ein Rätsel sein. Offiziell klagen die Monarchen gern den Iran an. Verdächtigungen gegen die verhaßte schiitische islamische Republik liefern die Legitimation für die weitere Unterdrückung der eigenen schiitischen Minderheit. Diese macht zwar nur knapp 15 Prozent der Bevölkerung aus, in den Ölregionen am Golf bildet sie jedoch die Mehrheit.

Beobachter vermuten hinter den Anschlägen zellenartig organisierte Gruppen, in denen ehemalige Afghanistankämpfer den Ton angeben. Zwischen 5.000 und 10.000 Krieger schickte das saudische Königshaus einst gegen die gottlosen Kommunisten in die Schlacht – Teil der von Saudi-Arabien gesponsorten islamistischen Internationale.

Doch die religiösen Krieger wenden sich nun auch gegen das saudische Herrscherhaus. König Fahd werfen sie ein pompöses Lotterleben vor. Bereits 1979, unmittelbar nach der islamischen Revolution im Iran, besetzten Hunderte die große Moschee von Mekka und verschanzten sich. Den saudischen Militärs gelang es zwei Wochen lang nicht, den Aufstand zu beenden. Erst eine französischen Spezialeinheit konnte in die Moschee eindringen.

In den letzten Jahren mehren sich Berichte über Proteste aus dem schwer zugänglichen Land. Prediger in den 11.000 Moscheen Saudi-Arabiens legen ihre Reden zunehmend nicht mehr der zuständigen Behörde vor, sondern kritsieren unzensiert vor Hunderten von Gläubigen die „Unmoral“ des Herrscherhauses. Im Untergrund kursieren Kassetten und Flugblättern mit wesentlich schärferen Angriffen und teilweise offenen Aufrufen zum Umsturz. Thomas Dreger