Brautbitter und Prozessionen

■ Ach, du schönes Sorbenland: Ein geselliger Heimatabend mit Gabriela Maria Schmeide im „Nachtcafe“ des Bremer Theaters

Der fünfarmige Kandelaber glimmt, Kerzenschimmer auf den Tischen, pittoresk laufen die Heizungsrohre durch den höhlenartigen „Brauhauskeller“ des Bremer Theaters. Zwei wuchtige Sessel im Hintergrund warten auf Gäste, eine Stadtansicht von Bautzen, als Dia an die Wand geworfen. Bautzen? Bautzen, denn kein deutsch-serbischer Abend in der Reihe „Nachtcafé“, wie hier und da fälschlich angekündigt, stand am Mittwoch abend an, vielmehr ein deutsch-sorbischer. Und Bautzen ist die „Hauptstadt“ des Sorbenlandes in der Lausitz und die Heimat von Gabriela Maria Schmeide.

Die 30jährige Schauspielerin, soeben mit dem Förderpreis der Bremer Theaterfreunde ausgezeichnet, brachte allerhand mit zum Gespräch mit Irmela Körner von Radio Bremen: Eine Reihe aufwendig in sorbische Tracht gehüllte Puppen, Wälzer mit sorbischer Literatur, Geigen, Rasseln, ihre Mutter, alte Freunde – und eine dermaßen ungebrochene Heiterkeit, mit der sie sofort das Publikum für sich vereinnahmte.

Traurig sei das, daß es von ihrer Heimat nur Negativ-Schlagzeilen gebe: Bautzen und Hoyerswerda, da klingt erst mal nichts an von schöner alter Stadtgeschichte, Burgen und verwunschenen Winkeln. Deshalb die kleine Dia-Schau einer Welt von gestern: Hochzeitsgesellschaften in von Generation zu Generation weitergegebenen Trachten, der Brautbitter, der die Hochzeitsgäste persönlich zum Fest bittet, aufgeputzte Pferde, Prozessionen. „Jetzt kommen ja busweise Touristen hierher“, sagt Gabriela Schmeide etwas abschätzig, „aber früher ...“

Früher war Bautzen 23 Jahre lang ihre Welt: Singen, tanzen, musizieren, Treppenputzen, waschen, singen. So stellt die Schauspielerin ihr Leben dar. Man kennt sich im Städtchen.

Sorbisch ist Schmeides Muttersprache, Deutsch lernte sie in der Schule. Nach dem Abitur wollte sie Medizin studieren, was ihr in der DDR verwehrt blieb. Warum? „Mein Vater war in den Westen gegangen ...“ Davon will sie nicht sprechen. Im „Pioniertheater“, „so hieß das früher“, war sie Souffleuse, und dann brauchten sie sie plötzlich auf der Bühne. Sie tourte durch die Provinz, in jede noch so kleine Hütte. Dann kam die Schauspielschule in Berlin. „Hoffentlich bekomme ich keine Zusage“, fürchtete sie sich, kein bißchen kokett. Sie bekam eine.

Und nach der Ausbildung in Berlin fern der Heimat direkt ein Engagement am Berliner Ensemble (BE). „Wir hatten uns überlegt, wohin wir uns bewerben sollten, nur ans BE wollten wir nicht.“ Aber „die kamen auf uns zu“. Über Schauspieler hatte die grazile Frau mit den langen blonden Haaren, angetan mit dunkelblauem Samt-Top und weitem schwarzem Rock, schon viel Schlimmes gehört. Deswegen traute sie sich zuerst nicht in die Kantine des BE. Aber dann merkte sie: „Da wird auch nur mit Wasser gekocht.“

Gabriela Maria Schmeide könnte noch lange weitererzählen, vom sorbischen Heimatland, Anekdoten aus ihrer Gegend, von der sorbischen Sprache, ihrer Großmutter, der „wilden Hilde“, die noch mit 86 Theater spielte. Wir lauschen einem mitgebrachten Band. Dann springt die Bautzenerin mit dem unverbauten und unverbaubaren Blick auf ihre sorbischen Wurzeln auf: Gesang. Die Freunde setzen sich an Piano und Kontrabaß, Gabrielas stille schöne Schwester Judith nimmt die Geige in die Hand, und die Schmeide schmettert Sorbisches. Mit Verve und Inbrunst. Kein Wort ist zu verstehen, denn das Sorbenland ist Tschechien nahe, wie auch die Sprache. Ganz selbstverständlich singen sie, ohne Fehl und Tadel, scheinbar mühelos.

Bloß über den Preis hat sie sich nicht so recht gefreut. „Es gibt am Theater keine Einzelleistung“, sagt sie, und: „Ich dachte, so ein großer Preis wird aufgeteilt.“ Da steckt noch das Kollektivdenken aus alten Ost-Zeiten in ihr, bei dem der reitende Bote ohne Text genauso wichtig ist wie die Hauptrolle. „Andere müssen Sie schminken oder beleuchten, aber Sie müssen spielen!“, muntert Irmela Körner sie auf. Das Publikum ist der gleichen Meinung. Applaus für Gabriela Maria Schmeide. Man geht mit der Gewißheit: Das Sorbenland ist anders. Alexander Musik