„Der hat mir in die Eier getreten“

■ Festgenommene nach dem Sielwallkrawall berichten von Prügeln in der Wache Brommyplatz

Nach dem Fußballspiel England-Deutschland sei es zu „leichten Krawallen“ an der Sielwallkreuzung gekommen, heißt es im Polizeibericht. Erst sei ein Anhänger, dann ein PKW in Flammen aufgegangen. Polizisten seien mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Rund 20 Personen seien vorgeführt, aber am frühen Morgen wieder entlassen worden.

Der Bericht von einem, der dabei war, klingt weniger nüchtern. „Es waren vier, fünf Mann, die haben mir erst die Knie in den Bauch gerammt, dann zwei-, dreimal getreten, und dann haben sie mich mit Anlauf mit dem Kopf gegen den Tresen geschleudert. Und das war erst der Anfang.“ Der 18jährige Marco (alle Namen geändert) war einer von denen, die am Siewall verhaftet worden waren. Gestern berichteten er und seine FreundInnen von ihren Erlebnissen im dritten Polizeirevier am Brommyplatz.

Ein gewonnenes Fußballspiel, der letzte Schultag, es sei reichlich was los gewesen auf der Kreuzung, berichten alle Dabeigewesenen. Es habe einige Feuer gegeben, allerdings habe der Anhänger nicht gebrannt, nur ein paar Zeitungen. Einige Punks hätten Schaumstoff in Brand gesteckt. Als die Polizei gekommen sei, sei die mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Die PolizistInnen seien Mal um Mal losgerannt, die SteinewerferInnen zu schnappen.

Eine gute Gelegenheit, zwischen die Linien zu geraten. Und so geschah es auch Marco und Pit. Die hatten mit Pits Freundin auf den Stufen in einem Hauseingang gesessen. Die Polizei sei an ihnen vorbeigestürmt, und beim Zurücckommen hätten ein paar Beamte auf Pit und dessen Freundin gezeigt: „Ihr seid festgenommen.“ „Warum denn, haben wir gefragt“, erzählt Pit. Aber die Polizisten hätten nur „Schnauze halten“ gesagt, ihn auf den Boden gedrückt, gefesselt und in einen Wagen geschleift, seine Freundin ebenso. „Da bin ich hinterhergerannt und hab gefragt, was das soll“, berichtet Marco. Ein Grund, ihn gleich auch anzuschnauzen, in eine Ecke zu drängen, ihm Handschellen anzulegen und mitzunehmen.

Marco war es auch, der durch sein stetiges Fragen nach den Verhaftungsgründen, nach den Dienstnummern der PolizistInnen, nach einem Telefon, nach einem Anwalt zum Objekt der verbeamteten schlechten Laune wurde. Einzeln seien die Verhafteten vom Wagen in die Wache geschleift worden. Alleine sei er gewesen, als er in der Wachstube von mehreren Polizisten zum erstenmal vermöbelt worden sei. „Dann haben sie mich an der Kette der Handschellen hochgerissen und rückwärts in den Keller gezerrt.“ Dabei habe er seine – modisch drei Nummern zu große – Hose verloren. „Ich habe gesagt, sie sollen mir die Handschellen lockerer machen. Die haben mir die Handschellen noch fester gedreht, und sie haben mich nur verhöhnt: Du bist gleich richtig dran.“

Das sei er dann auch gewesen, auf dem Flur zu den Zellen. „Da haben sie mich auf den Boden geschmissen, einer kniete auf mir und hat mir die ganze Zeit mit der flachen Hand fünf-, sechsmal auf den Kopf geschlagen, der eine hat mir in die Eier getreten, der andere hat meine Eier gegriffen. Die haben mir die Ohren umgedreht und mich an der Nase wieder hochgezogen.“ Dann seien ihm die Handschellen abgenommen worden, und er sei als einer der ersten in die Zelle geworfen worden – in Unterhosen.

14 junge Leute, Männer und Frauen gemeinsam, vor allem Punks, hätten die nächsten knapp vier Stunden hier auf engstem Raum verbracht. Ein paar seien vernommen worden, aber nicht freigelassen. Da sei ein Festgenommener gewesen, der eine Operationsnarbe am Arm gehabt hätte, die bei der Verhaftung wieder aufgeplatzt war. „Das war ganz offen, total eklig“, erzählt Marco. „Der hat immer wieder einen Arzt verlangt. Dann ist nach einer Ewigkeit einer gekommen, aber der hat nichtmal die Wunde gereinigt.“

Die Eltern der jungen Festgenommenen sind empört. „Man muß sehen, daß die Polizei eine schwere Arbeit macht“, sagt eine Mutter. „Aber wie da mit den Festgenommenen umgegangen wird, das geht nicht.“ Einige Eltern erwägen Strafanzeigen, obwohl sich einige auch keine großen Illusionen machen: „Es gibt keine Zeugen für die Prügelei“, sagt ein Vater. „Die Polizeiberichte kann ich mir schon vorstellen.“

Von der Polizei selbst war gestern keine genauere Stellungnahme zu erhalten. Noch seien die Berichte nicht vollständig geschrieben, sagte ein Sprecher. J.G.