Durchs Dröhnland
: Retten Leben, sind in aller Munde

■ Die besten und schlechtesten, wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Berühmt war die sogenannte Leinemetropole Hannover früher mal als Hort für Psycho-Sixties- Beat à la Exit Out oder 39 Clocks sowie für straighten, intensiven Hardcore. Doch wie das so geht, versucht man mittlerweile auch dort Sachen, die heiß und fettig sind und schnell zum Tanzen animieren. Spice heißt eine Combo, die dem Outfit nach zuerst an Krautrock oder die Begleitband von Michael Schenker denken läßt, sich aber historisch an Sly Stone, James Brown oder George Clinton orientiert. Dazu darf man dann Funkmusik sagen oder auch Soul, und wo diese Sounds öfters in tiefe Fallen tappen lassen, gehen sie bei Spice recht ungezwungen und locker in Mark und Bein mit anderen Worten: es groovt.

Klasse ist hier vor allem die vierköpfige Bläsersektion, die auch live mit on stage sein soll. Zur Erfüllung des Anspruchs, Black-Music-Siebziger in Neunziger-Jahre-Kontexte zu bringen, würden ihrem Sound aber sicher ein paar schmierige Acid-Jazz- Schaumkronen mehr oder ein paar synthetische Töne ganz gut stehen. Obwohl: Wenn es richtig funkt, hat man gegen perfekte Musiker und goldenes Handwerk allein ja nichts einzuwenden.

Morgen, ab 22.30 Uhr im Franz- Club, Schönhauser Allee, Prenzlauer Berg

Als tragische Gestalten könnten Jesus Lizard irgendwann in die Rockgeschichte eingehen. Seit Jahren produziert die Band aus Chicago Album auf Album, alle halbe Jahre entert sie irgendwelche Bühnen in Europa – und doch dürfte sie den meisten Durchschnittskäufern von Grunge- oder Rockplatten nur durch eine Splitsingle mit Nirvana bekannt sein.

Ob Jesus Lizard das selbst als Tragik auslegen, ist allerdings fraglich: Auch wenn die früher kolportierte Psychotiker-Identität ihres Masterminds ein Werbegag war, scheint die Band im positiven und unpathologischen Sinn verrückt zu sein. Trotz kürzlich abgeschlossenem Majordeal legen Jesus Lizard auf mainstream- kompatible Anbiederungen nämlich überhaupt keinen Wert: Ihr Sound wird wie eh und je von Noise, Übersteigern, Kanten und Brüchen dominiert, von Klängen, die an selige Rapeman oder Big Black erinnern.

Und Sänger David Yow ist ein unruhiges Rumpelstilzchen, das von kataplektischen Verrenkungen bis zum Striptease alles mögliche im Programm hat. Zudem muß er seine Stimmbänder eingestellt haben zu einer Zeit, als John Lydon noch seiernd und geifernd mit Public Image Limited durch die Lande zog.

Am Montag, 1. 7., ab 20.30 Uhr im Loft am Nollendorfplatz, Schöneberg

Wenn von diesem Mann die Rede ist, fällt ganz bestimmt ein Wort: Kult. Das mag an den kultigen (?) Filmen liegen, in denen John Lurie mittat, den bekannten Jarmusch-Filmen, aber auch „Paris – Texas“, „Wild At Heart“ und „Die letzte Versuchung Christi“. John Lurie spielte dort, cool und schlaksig, wie er nun mal ist, Lurie himself, und das ist vielleicht das größte, was ein Schauspieler hinbekommen kann.

Vielleicht aber ist der Kult um ihn begründet in seinem musikalischen Schaffen: Lurie ist Saxophonist und Chef der Lounge Lizards, mit denen er seit über 15 Jahren die Jazzwelt unsicher macht und irritiert. Bei den Lounge Lizards ist er der Alleinherrscher, ein kleiner Tyrann, der nur ungern Stars neben sich duldet, selbst wenn sie wissen sollten, wohin der Hase laufen soll. Das ist nur schwer zu orten, denn Lurie steuert seine Band, in der auch sein Bruder mitspielt, reichlich ungezwungen im Jazz-Spannungsfeld von Fusion, Free und Punk, schreckt aber auch vor schönen und traditionellen Jazzschweinereien nicht zurück.

Am Dienstag, 2. 7., ab 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten

Früher waren sie die Könige des Hochgeschwindigkeitsmetal. Heute sind Slayer in diesem Genre eine Band von vielen. Ihre notorische politische Inkorrektheit gemahnt mittlerweile mehr an altersschwachsinnige Starrköpfigkeit als an gezielte Provokation und lockt niemanden mehr so recht hinter dem (Empörungs-)Ofen hervor. Wie es scheint, wissen Slayer selbst nicht mehr genau, worin ihre Daseinsberechtigung (Dinosaurier?) noch liegt.

Deswegen haben sie sich auf ihrem neuen Album vielleicht an den Punkrockhelden von einst vergriffen, haben Minor Threat, die Stooges, Verbal Abuse oder die Suicidal Tendencies gecovert: Da recyclen sie andere als sich selbst und können überhaupt mal wieder ein paar flotte Märsche blasen. Die Fachwelt ist sich jedenfalls einig, das beste Slayer- Album seit zehn Jahren gehört zu haben. Live zumindest brauchte man bei ihnen nie Abstriche zu machen: Wo andere Matsch und Brei produzieren, hört man bei Slayer Klarheiten, Tonfolgen und Erfrischungen, die vor Jahren einmal den Stamm-„Dröhnland“- schreiber dazu verleiteten, diesen Sound mit Free Jazz zu assoziieren.

Am Mittwoch, 3. 7. (zusammen mit Schweisser und House of Pain) in der Arena, Eichenstraße 4, Treptow

Retten Leben, sind in aller Munde: Jungle oder Drum & Bass. Wo selbst die ARD anläßlich der EM nicht zurückstecken möchte und einen Drum-&-Bass- veredelten Werbe-Trailer im Programm hat, wo Goldie der erste Jungle-Popstar wurde und Everything But The Girl Drum & Bass endgültig als Hintergrundmusik für ihre Vocals (miß-)brauchten, müßte so allmählich dieser Style seinen Eingang finden in den Alltag.

Auch MC Det, Jungle MC aus London, steht kurz davor, den Sprung aus dem Club in die Charts und in die große weite Konsum-Welt zu schaffen. Vor kurzem hat er ein Album veröffentlicht, „Out Of Det“, auf dem explizit harte Tracks, über die Det mit seinem roughen Organ toastet, mit einigen hübsch weichgezeichneten Basslinien korrespondieren. Jazzpartikel und gelegentlicher Einsatz weiblicher back-vocals runden den Eindruck ab, daß Det hier nicht nur auf die alte Jungle- und Hardcover-Schule sein Hohelied toasten möchte.

Am Mittwoch, 3. 7., ab 23 Uhr im Boogaloo, Brückenstraße 1, Mitte

Ertragen hat man ja schon einiges an dummen und dämlichen Namen, insbesondere im Pop-Busineß. Strategisch und marktbewußt haben Oof! bestimmt nicht gedacht, als sie sich so nannten, zumal nur ein Buchstabe fehlt, um die obige Tautologie noch fetter zu machen. Egal, denn die Musik der vier Norddeutschen ist recht gefällig und nett: Deutsch-Pop, der nicht mehrmals um die Ecke gespielt ist, der unterhaltsam ist, ohne mit Ausgedachtheiten oder mutwilligen Provokationen auf sich aufmerksam machen zu müssen.

Am Donnerstag, 4. 7., ab 22 Uhr im DunckerClub, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg Gerrit Bartels