Der Roman als Rechtschreibhilfe

■ Ein Text wundert sich über die eigenen Klischees, und der Protagonist erkennt: „Das Leben ist immer viel komplizierter als ein Kinofilm“ – „Straßenschlachten“, ein Prenzlauer-Berg-Krimi von Jörg Köhler

Bei Jörg Köhler ist die Welt noch in Ordnung: In „Straßenschlachten“, seinem zweiten Detektivroman nach „Tötet Jack Daniels“, haben Schwule „feminine Züge“, heißen Manuel und mit Nachnamen Schönlieb oder „weinen wie ein kleiner Junge“. Echte Kerle unterhalten sich darüber, wie oft sie's in einer Nacht bringen. Frauen werden hysterisch, wenn sie Blut sehen, bekommen den Führerschein, weil sie kurze Röcke tragen, und ihren Lebensunterhalt bestreiten sie bald als Hure, bald als Sekretärin. Berlin hat einen „legendären Kollwitzplatz“ und für alle, die's noch nicht wußten, heißt es: „Hier gehen die Uhren anders als im Rest der Stadt.“

Vor dieser überschaubaren Kulisse tummelt sich private eye Konstantin von Iven, hauptberuflich als Handlungsreisender in Sachen weiche Drogen tätig. Für seine Geschäfte in der exotischen Fremde braucht er einen Führerschein, und anstatt sich diesen im bekanntermaßen korrupten „Busch von Afrika“ zu besorgen, muß er zurück nach Berlin.

Dort kommt ihm eine Leiche in die Quere. Am Tag der Prüfung sitzt der Prüfer mit gespaltenem Schädel im Auto, und von Iven, um die Fahrerlaubnis geprellt, macht sich auf die Suche nach dem Mörder. Zunächst jagt er nach dem Falschen, was alle – Nebenfiguren wie Leser – wissen. Allein der Detektiv braucht 100 Seiten, um seinen Irrtum zu erkennen. So kommt Langeweile auf, bis sich die Handlung in der zweiten Hälfte des Romans endlich verwickelt.

Die Anlage der Hauptfigur gleicht dies nicht aus. Schnoddrig und cool wie einst Marlowe soll von Iven sein, doch leider reicht's nur zur Geschwätzigkeit. Aus dem Rede- und Gedankenfluß des Ich- Erzählers erfährt der Leser so manches, was er gar nicht wissen wollte – so zum Beispiel, „daß fetttriefende Haffflunder zwei der wenigen Worte waren, die im Deutschen mit drei Konsonanten hintereinander geschrieben wurden“.

Wer keine Nachhilfe in Rechtschreibung braucht, mag sich vielleicht einen neuen Blick auf den Berliner Osten versprechen, denn an Lokalkolorit spart der 1966 in Leipzig geborene Autor Köhler nicht. Unentdecktes aber läßt sich dabei nicht aufspüren. Ganz undetektivisch bleibt der Blick auf die Stadt an der Oberfläche: „Man kann im Prenzlauer Berg in einigen Cafés zu jeder beliebigen Tageszeit frühstücken. Es gibt hier immer noch genug Leute, die gewöhnlich erst am Nachmittag aufstehen und dann nichts zu essen im Kühlschrank haben oder ihre Wohnung nicht mehr sehen können.“ Ironische Wendungen sind in der Sammlung von Platitüden selten, und kaum gehen sie darüber hinaus, daß sich der Text über die eigenen Klischees wundert.

Ein wenig Meta-Ebene kommt hinzu, wenn Köhler aus dem Fundus des Kriminalfilme und -serien schöpft. Von Iven durchlebt so manche Situation, die „ganz wie im Film“ ist. In seiner Phantasie trägt sich ein Duschwannenmord zu, der fast identisch mit dem aus Hitchcocks „Psycho“ ist, und einmal heißt es: „Das Leben ist immer viel komplizierter als ein Kinofilm.“

Darin erschöpftt sich die Reflexion der Medien und des Kriminalgenres, so daß sie zum modischen Beiwerk verkommt. Dem Roman hilft das nicht weiter. Der Mangel an Selbstironie, die ungeschickte Handlungsführung und die vielen Platitüden machen aus „Straßenschlachten“ ein trauriges Beispiel dafür, wie man eine Berliner Detektivgeschichte besser nicht schreibt. Cristina Nord

Jörg Köhler: „Straßenschlachten“. Roman, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 213 Seiten, 24 DM.