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"Nur öffentliche Stärke ist politische Stärke"

■ Interview mit Hans-Georg Stümke (54), Historiker und Veteran der Schwulenbewegung. Seit sich die Bewegung darauf beschränkt, gleiche Rechte zu fordern, wachsen beim Christopher Street Day die

taz: Wo steht die hiesige Lesben- und Schwulenbewegung heute, 27 Jahre nach der Polizeirazzia in der New Yorker Stonewall-Bar in der Christopher Street?

Hans-Georg Stümke: Lange noch nicht dort, wo sich die US-amerikanische Bewegung befindet. Aber immerhin haben wir den Rahmen der traditionellen Subkultur – die Lokale und Bars – verlassen, haben quasi deren Monopol gesprengt und sind dabei, uns auch als soziale Minderheit zu etablieren. Schwule und Lesben haben in den vergangenen 10 bis 20 Jahren damit begonnen, sich sehr viel stärker öffentlich aufeinander zu beziehen. Ausdruck davon ist nicht nur der boomende Freizeitsektor wie die Sport-, Gesangs- und sonstigen Vereine und Gruppen, sondern auch der Ausbau einer Infrastruktur zur gegenseitigen Unterstützung, also die Rosa Hilfen oder Überfalltelefone. Zugleich gibt es heute auch eine starke Differenzierung nach Berufsfeldern, zum Beispiel Lehrer, Juristen, Ärzte, schwule Manager oder Computerfreaks. Ich sehe das als eine positive Entwicklung. Darin drückt sich der Übergang von einer nur sexuellen zu einer auch sozialen Minderheit aus.

Wo liegt der Unterschied zwischen sexueller und sozialer Minderheit?

Früher haben wir uns vor allem nur sexuell und privat aufeinander beziehen können. Heute steht – jenseits der Sexualität – auch der soziale Bezug deutlich stärker im Vordergrund. Das ist bei anderen Minderheiten ebenso. Es ist für jede Minderheit selbstverständlich, auch eigene soziale Strukturen zu haben. So etwas brauchen Schwule und Lesben eben auch. Und sie bauen sie sich auf!

Wie schlägt sich die Entwicklung von der nur sexuellen zur sozialen Minderheit in der Lesben- und Schwulenpolitik nieder?

Schwule und Lesben haben heute viel mehr Mut, sich tatsächlich auf ihre eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren. Es ist auch eine Form von Politik, wenn ein schwuler Sportverein die Aufnahme in den deutschen Sportbund beantragt und die LeiterInnen des Sportbundes das mit der Begründung ablehnen, Schwule gehörten da als Gruppe nicht hin! Das ist doch eindeutig eine Diskriminierung! Ich denke, daß der Kampf um die Aufnahme in einen Sportverband auch ein wichtiges Stück Politik ist. Es geht um Integration, um Teilhabe. Wir wollen die gleichen Rechte wie die Heterosexuellen. Emanzipation setzt durch Integration ein. Und zwar Integration überall dort, wo Schwule und Lesben dies begehren. Sie müssen das Recht haben, sich als Gruppe selbst in der CDU zu organisieren, so wie in der SPD, der PDS oder den Bündnisgrünen. Schwule und Lesben haben unterschiedliche politische Haltungen und unterschiedliche Weltanschauungen. Sie sind wie ein Schnitt durch die Torte der Gesellschaft. Wichtig scheint mir, daß sie alle sich bekennen und als Homosexuelle selbstbewußt für ihre Rechte auftreten. Wo sie das machen, das ist ihre private Entscheidung. Die gemeinsame Klammer ist der Kampf um gleiche Bürgerrechte.

Der Kampf um Bürgerrechte, also gleiche Rechte für Lesben und Schwule, kann doch nicht alles sein. Es geht doch auch um eine Veränderung dieser Gesellschaft.

Es geht erst mal tatsächlich um die Veränderung der Gesellschaft. Die deutsche Gesellschaft hat doch immer noch ein katastrophales Verhältnis zu ihren Minderheiten. Das zieht sich doch wie ein Faden durch die gesamte deutsche Geschichte. Die Gesellschaft muß lernen, Minderheiten und ihre speziellen Kulturen zu akzeptieren. Hier besteht noch ein riesiges Demokratiedefizit.

Die Bürgerrechtsfraktion, die sich auf das Einfordern gleicher Rechte beschränkt, hat die Oberhand gewonnen. Nur eine Minderheit der Lesben und Schwulen fordert ein breiteres Politikverständnis. Müssen wir nicht ebenso gegen Sexismus, Rassismus und Sozialabbau kämpfen?

Das Verrückte ist, daß wir uns als linke Schwule in den siebziger Jahren darüber mokierten, daß die „angepaßten“ Schwulen damals nicht mit uns demonstrierten. Damals hatten wir durchaus ein breiteres Politikverständnis, aber die Schwulen und Lesben blieben in ihren Lokalen hocken und sagten: „Was hat denn der Krieg in Vietnam mit meiner Homosexualität zu tun?“ Heute haben sich erhebliche Teile dieser sogenannten „angepaßten“ Schwulen emanzipiert und sind beim Christopher Street Day auf den Straßen. Aber viele linke Schwule stehen jetzt am Straßenrand, rufen ,Huch, was sind die unpolitisch!‘ und halten sich zurück. Ich finde, die Aufgabe von linken Schwulen und Lesben ist es doch gerade, politische Inhalte stärker hineinzutragen. Es müssen dann aber solche Inhalte sein, die wirklich was mit der Schwulen- und Lesbenfrage zu tun haben. Der Kampf gegen Sexismus und Rassismus gehört zweifellos dazu. Aber schon bei der Frage des Sozialabbaus würde das schwierig. Einfach deswegen, weil die wirtschaftliche Lage der Homosexuellen durchaus sehr unterschiedlich ist. Ich möchte wieder das Bild von dem Tortenstück heranziehen: Es würde doch keiner auf die Idee kommen, ganz undifferenziert DIE Heterosexuellen für den Kampf gegen den Sozialabbau zu gewinnen. Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist für so ein Vorhaben doch auch gar nicht relevant. Warum soll es aber bei Schwulen und Lesben plötzlich relevant werden? Relevant sind zunächst vielmehr alle die Fragen, die etwas mit der Akzeptanz von Homosexualität zu tun haben. Wir müssen den Mut haben, erst mal unsere eigenen Fragen als Minderheit zu stellen.

Sind wir darüber nicht schon längst hinaus?

Nein, denn jetzt, wo immer mehr Schwule und Lesben auf die Straße gehen, verbessern sich auch die Bedingungen, gemeinsame politische Erfahrungen zu machen. Die Politisierung unserer Minderheit hat auch 1969 nach der Stonewall-Rebellion auf den Straßen begonnen. Wie soll denn eine Politik ohne ein massenhaftes öffentliches Coming-out von Schwulen und Lesben funktionieren? Wir müssen sie doch erst mal mobilisieren und dort abholen, wo sie sich befinden. Ich behaupte, daß sich manche linken Schwulen und Lesben dieser Aufgabe schlichtweg verweigern. Sie verfahren lieber nach der Prämisse: Nur wenn du so denkst wie ich, können wir politisch zusammenarbeiten.

Die Bewegung ist vor allem in Berlin an der Frage Bürgerrechtspolitik versus breiteres Politikverständnis gespalten. Schwächt das nicht die Bewegung?

Seit die Bürgerrechtspolitik stärker greift, haben die TeilnehmerInnenzahlen an den CSD-Demos in den Millionenstädten zugenommen. Für die Masse der Lesben und Schwulen hat der andauernde Gruppenstreit eine abstoßende Wirkung. Von einer zerstrittenen Truppe fühlen sie sich nicht repräsentiert und bleiben lieber zu Hause. Deswegen ist Berlin im Vergleich zu Köln, wo in diesem Jahr hunderttausend auf den Straßen erwartet werden, auch ein Dorf geblieben. Der Berliner Streit wirkt wie ein Deckel auf dem Topf. Ich baue auf das massenhafte öffentliche Coming-out. Nur unsere öffentliche Stärke, zum Beispiel am Christopher Street Day, zeigt auch unsere politische Stärke.

Gut, die Massen kommen auf die Straße, aber dieses Potential verpufft in Berlin. Es gibt offenbar zuwenig Reibungspunkte, die auch zu einer massenhaften Politisierung führen.

Diese Reibungspunkte stellen sich ganz von selbst ein, wenn das gesellschaftliche Coming-out eine bestimmte Wirkung erreicht hat. Wir haben das sehr gut in den USA Ende der siebziger Jahre sehen können. Die reaktionäre „Save our Children“-Kampagne der Anita Bryant hat in der damals noch gar nicht so starken gay and lesbian community eine sehr mobilisierende und sehr politisierende Wirkung gehabt. Nach dem Zusammenbruch der Bryant-Kampagne war die community stärker als je zuvor. Hier sind kollektive politische Lernprozesse abgelaufen. Solche Erfahrungen allerdings stehen in Deutschland noch aus.

Das Gespräch führte:

Doro Winden

Lesen Sie morgen im Lokalteil zwei Sonderseiten zum Christopher Street Day

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