Kotau vor der Mafia

■ 2.241 Aktionärsversammlungen in Japan an einem Tag – aus Angst

Tokio (taz) – Die Rekordzahl von 2.241 japanischen Unternehmen hielt gestern am gleichen Tag ihre Aktionärsversammlungen ab. Unter den Firmen befanden sich zwei Drittel der an den Börsen notierten Firmen. Sie alle setzten die Versammlungen zur gleichen Stunde an, um Störaktionen der Yakuza-Mafia vorzubeugen. Noch immer gilt in Japan die Regel: Je mehr Versammlungen an einem Tag stattfinden, desto mehr Treffen verlaufen ungestört, weil die Mafia nicht überall gleichzeitig sein kann. Die Taktik der Firmen verdeckt nur mühsam, daß das Erpressen von Schutzgeldern für reibungslose Aktionärstreffen immer noch zu den einträglichsten Geschäften der Mafia gehört. Die angesehene Kaufhauskette Takashimaya zahlte allein 1995 1,1 Millionen Mark an eine Mafia-Gruppe in Osaka, um ihre Aktionäre friedlich zu stimmen.

So konnte kaum erstaunen, daß gestern nur 11 der 2.241 Versammlungen mehr als zwei Stunden währten. Die meisten Aktionäre konnten bereits nach 20 Minuten nach Hause gehen. Dabei mangelte es durchaus nicht an strittigen Themen. In vielen Unternehmen aus der angeschlagenen Finanzbranche entschuldigte sich das Management vor den Aktionären für die begangenen Fehler im Umgang mit Spekulationskrediten. Doch in den meisten Fällen blieb es bei einer Verbeugung. Schuldzuweisungen werden nicht verteilt – das hieße nämlich, vor der Öffentlichkeit das Gesicht zu verlieren. Mit Spannung war die Versammlung des Sumitomo-Handelshauses erwartet worden, dessen Verluste von mindestens 2,7 Milliarden Mark aus dem Kupfergeschäft seit Tagen für Schlagzeilen sorgen. Tatsächlich kam es in Osaka zu einer seltenen, wenngleich kurzen Aussprache zwischen der Sumitomo-Führung und einzelnen Aktionären, die das Management kritisierten. Doch belegt gerade der Fall Sumitomo: Das japanische System kreuzweiser Aktienbeteiligungen innerhalb der großen Unternehmensgruppen schützt ein Management auch dann noch, wenn es sich vor der ganzen Welt blamiert. Sumitomo-Chef Tomiichi Akiyama stieg gestern vom Präsidenten (shacho) zum Vorsitzenden (kaicho) auf.

Einzelne Firmen versuchen indessen, das Interesse der Aktionäre für sich zu gewinnen. So hielt der Videospielhersteller Square seine Aktionärsversammlung am vergangenen Sonntag ab und lud Familien mit Kindern ein, die sich an den neuesten Videospielautomaten vergnügen konnten. „Wir sagen nicht, daß wir vor der Mafia keine Angst haben“, erklärte Square-Manager Toshiro Ohno, „aber wir halten es für wichtig, daß unsere Aktionäre eine Beziehung zu ihrer Firma entwickeln.“ Weil das für die meisten Unternehmen nicht zutrifft, genießen nicht nur japanische Manager erstaunliche Entscheidungsspielräume – auch den meisten staatlichen Ministerien sind größere Einflußmöglichkeiten auf die Unternehmenspolitik als im Westen gegeben. Georg Blume