Episches Spiel

■ Das EM-Halbfinale hat nur einen Helden: den Fußball

Zunächst ein Geständnis: Was Andreas Köpke bemerkt hat, stimmt. „Wer dieses Spiel gesehen hat“, sagte der Torhüter des FC Barcelona, „ist ziemlich aufgewühlt.“ Jeder in Wembley an diesem Mittwoch abend war am Ende aufgewühlt. Es herrschte ungläubiges Staunen: Was für ein Spiel! Ein epochales Spiel!

Halblang: Es war 90 Minuten lang im Vergleich mit anderen EM-Spielen ein annehmbares, taktisches, längst nicht sehr gutes Spiel. Dann aber kam eine Verlängerung, die die Faszination des Fußballs wieder einmal begründet hat. Es wurde eine Geschichte erlebt. Die nun erzählt werden kann. Insofern war es weniger epochal als episch.

Einiges mußte zusammenkommen: Es war das EM-Halbfinale, es spielten England und Deutschland, die Partie war von vornherein die Klimax gewesen, auf die das Turnier hingearbeitet hatte.

Ein Drama? Dies ist nun wieder der Punkt, an dem üblicherweise die Überlegenheit des Fußballs gegenüber der Bühne bewiesen wird. Fußball ist ein Spiel, aber in solchen Momenten ist nichts daran gespielt.

Es war sogar so: Das Spiel holte sich in der Verlängerung sozusagen das Spiel zurück. Von den taktierenden Trainern. Es war stärker als Vogts und Venables. In seinen besten Momenten war dieses Spiel sogar stärker als sein Ziel: der Sieg, die Niederlage des anderen.

In seinen allerbesten Momenten verdrängte das Spiel sogar jenen Nationalismus, Patriotismus, Jingoismus, Chauvinismus, der es erst auf diesem Gefühlsniveau ermöglicht hatte. Vielleicht.

Weil aber nur das Spielfeld eine Insel der Seligen sein kann, wird die bereits eingesetzt habende Nachbereitung das Spiel nun vergewaltigen. Den üblichen Reflexen folgend, wird man ihm Helden aufzwingen. Helden hier, die wieder einmal die deutsche Überlegenheit bewiesen haben. Englische Helden dort, denen von einer nicht näher bestimmten höheren Instanz Unrecht widerfahren ist. Wenn aber in dieser Nacht in Wembley irgend etwas seine Überlegenheit bewiesen hat, dann war es das Spiel selbst.

Der Held ist der Fußball, sagt das Spiel. Fußball ist erstaunlich, sagt es. Verneigen wir uns vor ihm. Oder lassen wir es bleiben. Peter Unfried, London