Seezungen, Granaten, Torpedos

■ Neue Hilfe für Nordseefischer, wenn ihnen Explosives in die Netze geht

In langsamer Fahrt tuckert die „Gudrun Albrecht“ vor Wangerooge durch die Nordsee. Eine halbe Stunde lang hat der Kutter zwei Netze über den Meeresgrund geschleppt. Jetzt holt die Mannschaft sie ein. In ihnen zappeln Schollen, Seezungen und Knurrhähne. Kapitän Gerd Tattje ist aber auch eine weniger begehrte „Beute“ ins Netz gegangen: zwei Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Vorsichtig klopft Günter Peschel, der stellvertretende Leiter des niedersächsischen Kampfmittelbeseitigungsdienstes, mit einem Hammer den schwarzen Schlick von dem hochbrisanten Fang. Dann verschwinden die zwei Geschosse in einer Stahlkiste, die am Heck des Kutters auf dem Deck steht. Früher wären sie einfach wieder ins Meer geflogen, gesteht Kapitän Tattje. „Wo es am tiefsten war, haben wir die Munition wieder reingeworfen. Was hätten wir sonst auch tun sollen? Wir durften damit ja noch nicht einmal in den Hafen rein.“

Das hat sich geändert. 1995 startete das niedersächsische Umweltministerium ein Pilotprojekt mit einem Fischer. Er bekam eine Spezialkiste aus Stahl auf sein Schiff, in der er unfreiwillig aus dem Meer gefischte Munition sicher an Land bringen konnte. Dort übernahm der über Funk gerufene Kampfmittelbeseitigungsdienst die explosive Fracht. Drei Tonnen Munition wurden so unschädlich gemacht. Inzwischen sind zehn Fischer unter Vertrag. Sie erhalten in der Hauptfangzeit eine Entschädigung von 1.000 Mark im Monat.

Allein in niedersächsischen Gewässern ließen die Alliierten nach dem Krieg rund eine Million Tonnen nicht mehr benötigte Munition versenken. „Davon liegen noch mindestens 10.000 Tonnen draußen“, sagt Hans-Jürgen Rapsch, der Referatsleiter Rüstungsaltlasten im Umweltministerium. Es gebe, „was das Herz begehrt“: Minen, Granaten, Flakgeschosse, Torpedos. „Vieles ist noch voll funktionsfähig“, weiß Peschel.

„Aus ökologischer Sicht ist die Bergung nicht nötig“, sagt Rapsch. „Ein Gutachten hat gezeigt, daß von der Munition keine unmittelbare Umweltgefährdung ausgeht.“ Ähnlich sieht dies auch der Kampfmittelexperte Peschel unter Sicherheitsaspekten. Kritisch wird es erst, wenn die explosiven Überreste des Krieges vom Meeresgrund an die Oberfläche kommen. Die vor sich hin rostende Munition wird immer empfindlicher. „Wir wollen den Kreislauf durchbrechen, daß sie immer wieder rausgeholt und über Bord geworfen wird“, erläutert Rapsch das Ziel des Projektes.

Das liegt auch im Interesse der Fischer. Heinz Tattje, der Bruder des Kapitäns der „Gudrun Albrecht“, erzählt, daß in einer Nacht einmal drei Fischer durch ein einziges Torpedo ihre Netze verloren haben. Jeder von ihnen kappte sein Netz und ließ den gefährlichen Fang zurück ins Meer fallen. Erst der vierte brachte ihn ans Land. Eine teuere Sache, immerhin kostet ein Netz heute rund 3.500 Mark. Dafür entschärften die Fischer früher die eine oder andere Granate schon mal selbst, um ein paar Mark am Metall der Geschoßhülsen zu verdienen. Passiert sei nichts, meint Tattje. „Wir haben schon einen Mist gemacht – lebensgefährlich.“ Ulrich Steinkohl, dpa