Nicht Avantgarde noch MTV

■ Die etwas andere Annäherung an einen Dichter: „Hölderlin-Comics“

Friedrich Hölderlin, deutscher Dichter (1770–1843), Liebling der Götter. Er sympathisierte mit der französischen Revolution und sehnte sich nach erfülltem Menschentum unter südlicher Sonne. „Er brause immer in Hymnen dahin, die abbrechen, wie wenn der Wind sich dreht“, sagte Bettina von Arnim. Auf den Briefroman „Hyperion“ folgten nur noch Gesänge, 35 Jahre geistiger Umnachtung. Seltsam rückwärtsgewandte Prophetien, zum Lesen mit Bedacht. Heutzutage braucht man dafür eigentlich zwei Wochen Urlaub vom Leben.

Und nun ein Hölderlin-Comic? Als Film? Schon werden die Puristenmesser gewetzt: geistiger Ausverkauf, Verrat an den Zeitgeist! Doch die Verfilmung von Harald Bergmann, Berliner Germanist und Mitarbeiter an der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, ist anders. Sein Hölderlin-Kino, 1994 erstmals im „Forum“ der Berlinale gelaufen, zeigt nicht die schwäbischen Orte des Lebens, Wirkens und Sterbens, eher schon mal einstürzende Altbauten und rotstichige Quallen.

Die Bild/Ton-Verfremdungseffekte sind kein Selbstzweck. Sie geben etwas von der Zerrissenheit des idealistischen Dichters wieder: auf der einen Seite die stille und schöne Kraft der rhapsodischen Sprache, auf der anderen die zerstörerische Kraft von Schöngeist und revolutionär-demokratischem Impetus.

Otto Sander, Udo Samel und Walter Schmidinger lassen sich die apokryphen Worte auf der Zunge zergehen. Schrifttafeln mit Brieftexten zeugen nicht nur von der Herablassung der moderaten Dichterfürsten Goethe und Schiller („Sein Zustand ist gefährlich“), sondern von der Unfähigkeit, einen Wirrkopf wie Hölderlin zu verstehen. Und der Dichter wird ganz lapidar gezeigt: dichtend.

Bergmanns Montagen beschwören das „göttliche Geheimnis der Sprache“, dem der Schöngeist in seinen Elegien und Hymnen auf der Spur war und wirkt (trotzdem?) zeitgemäß. Der Film „Hölderlin-Comics“ gleicht, wenn überhaupt, einem höchst intelligenten Videoclip. Drums, Babygeschrei, hämmernde Bässe von John Zorn & Naked City, dann Alban Berg und nordindische Traditionals, dazu obige Texte, verwackelte Landschaftsaufnahmen und ein Doppelrezitativ von Sander und Samel. Ein Dauerwirbel für die Wahrnehmung. Und trotzdem: Hier ist nichts verbildet, überfrachtet, ausverkauft. Das ist weder Avantgarde noch MTV-Kino für Magisterkandidaten. Moritz Ehrmann

Im Arsenal-Kino, heute, 19 Uhr, Welser Straße 25, Schöneberg