Weltmusik auf kurdisch

Musikkassetten waren für Kurden lange der einzige Weg, ihren Protest gegen türkische Politik zu artikulieren. Heute abend ist die Creme der kurdischen Musik live in Berlin zu erleben  ■ Von Daniel Bax

Daß die Moderne kein gleichförmiger und weltweit identisch verlaufender Prozeß ist, wie einst Emile Durckheim oder Max Weber glaubten, das ist heute eine soziologische Binsenwahrheit. Von wegen Endstation Coca-Cola-Kultur: „Die drohende Uniformierung der Welt wird heute nur noch von einigen Journalisten und Halbintellektuellen beklagt“, resümierte der Ethnologe Martin van Bruinessen unlängst süffisant vor versammelten FU-Studenten in einem vollbesetzten Hörsaal der Dahlemer Rostlaube.

Eingeladen war er, um im Rahmen der zweiten „Kurdologie“- Ringvorlesungsrunde an der Freien Universität über die Effekte der Globalisierung auf die kurdische Gesellschaft zu sprechen. Van Bruinessens These: Gerade der kurdische Nationalismus sei ein gutes Beispiel für die Auswirkungen der Globalisierungen in einer multipolaren Welt.

Wie immer man zu diesem Zerfall des Universalen stehen mag: Die unabhängige kurdische Kultur im europäischen Ausland, so van Bruinessen, habe sich stark auf die Situation vor Ort, etwa in der Türkei, ausgewirkt. Die Verbreitung von Kassetten mit kurdischer Volksmusik habe dort wesentlich zur Bildung eines kurdischen Nationalbewußtseins beigetragen – in der Wirkung durchaus vergleichbar mit der Rolle der Chomeini- Predigten auf Kassette zu Beginn der iranischen Revolution.

Der kurdische Politologiestudent Siamend Hajo bestätigte den holländischen Wissenschaftler: „Wie eine Bombe“ habe Anfang der achtziger Jahre die politische Protestmusik von Sivan Perwer eingeschlagen. Der kurdische Musiker, der nach dem Militärputsch aus der Türkei nach Deutschland floh, brachte in Europa sein erstes Band heraus, mit dem er schlagartig berühmt wurde. Siamend meint: „Sivan Perwer war wie eine Revolution.“ Und sein Freund Ünver Meseci pflichtet ihm bei: „Diese Musik hat eine ganz andere Bedeutung als normale Musik: Lange Zeit war diese Musik die einzige Möglichkeit, auf bestimmte Dinge hinzuweisen.“

Siamend und Ünver gehören zur Kurdistan AG, einer losen Gruppe, die über zwei Semester die „Kurdologie“-Ringvorlesung an der FU organisiert und dazu zahlreiche prominente Wissenschaftler aus aller Welt eingeladen hat. Die Studentengruppe wurde dabei vom AStA wie vom FU-Präsidium in seltenem Einvernehmen unterstützt und konnte so, über die Ringvorlesung hinaus, dem Kurdistan-Kenner van Bruinessen ab diesem Herbst eine einjährige Gastprofessur in Berlin sichern.

In der beginnenden Semesterpause soll nun eine Stiftung gegründet werden mit dem Ziel, in naher Zukunft an der FU einen Studiengang Kurdologie einzurichten. Das Kurdistan-Konzert im Theaterhof der FU an diesem Wochenende war ursprünglich als Fundraising für die Stiftung gedacht – bei dem niedrigen Eintritt von nur zehn Mark wird dafür aber kaum viel übrigbleiben. „Wir sind froh, wenn 1.500 Leute kommen – dann holen wir unsere Kosten wieder herein“, stöhnt Siamend. Der Publikumserfolg dürfte sicher sein, auf dem Programm stehen immerhin die derzeit wichtigsten Namen der kurdischen Musikszene.

Interessant dürfte der Auftritt von Civan Haco werden, einem in Norwegen lebenden syrischen Kurden. Mit seiner norwegischen Band und dem orienterfahrenen italienischen Perkussionisten Paolo Vinaccio fusioniert er gekonnt Blues- und Rockelemente mit seinem prägnanten kurdischen Gesangsstil zu einer Art avantgardistischem Ethno-Rock: Weltmusik auf kurdisch. Der 38jährige, der in Bochum Musik studiert hat, malträtiert die Saz wie eine Gitarre und wird auch sonst der Traditionalisten-Fraktion die Haare zu Berge stehen lassen.

Auch der in Berlin lebende Musiker Nizamettin Aric, bekannt geworden durch seinen Film „Ein Lied für Beko“, bei dem er die Regie führte, die Hauptrolle spielte und zu dem er außerdem natürlich die Filmmusik schrieb, experimentierte mit der kurdischen Tradition. Er verfeinert anatolische Folklore zu meditativ-athmosphärischen Klangbildern, kurdischer Kunstmusik gleich.

Fast schon konservativ wirkt im Vergleich zu all dem kurdisch-kosmopolitischen Klang-Crossover der Altmeister des Genres, Sivan Perwer. Er ist heute in der Türkei sehr populär, gleichwohl viele seiner Aufnahmen zeitweise verboten waren und er selbst nicht in die Türkei zurück reisen mag. Heute läßt der kurdische Star darum seine Kassetten von Musikern nach eigenen Vorgaben in der Türkei einspielen, anschließend singt er im heimischen Studio auf die vorproduzierten Arrangements – fertig ist ein Album.

Politische Protestmusik ist ein eigener, florierender Zweig der türkischen Musikindustrie – auf kurdisch wie auch auf türkisch. Gouverneure im kurdischen Südosten der Türkei können zwar den Vertrieb in ihrer Region nach Belieben verbieten, und sie machen von diesem Recht auch gerne Gebrauch. Doch die meisten kurdischen Kassetten werden ohnehin in der Westtürkei verkauft – und natürlich in Westeuropa.

Kurdistan-Konzert am 29. 6., 20 Uhr im Theaterhof der FU, Kiebitzweg 16, Dahlem, Eintritt 10 Mark.